Seit ein paar Monaten melden sich in einigen Stadtteilen Gruppen von fast ausschließlich herkunftsdeutschen Bürger_innen massiv in der Diskussion über die Unterbringung von Geflüchteten in Hamburg zu Wort. Ihr Dachverband nennt sich „Initiativen für erfolgreiche Integration“ (IFI) und behauptet in erster Linie an einer nachhaltigen und guten Integration der rund 22.000 Geflüchteten, die letztes Jahr nach Hamburg kamen, sowie der noch Kommenden interessiert zu sein. Auf den ersten Blick scheint das von den IFIs verfolgte Konzept tatsächlich fortschrittlicher als die aktuelle Senatspolitik zu sein. Fordern die IFIs doch eine maximale Größe von Flüchtlingsunterkünften von 300 Personen, eine über alle Stadtteile gestreute Unterbringung mit einem Mindestabstand der Unterkünfte von 1.000 Metern und einen „Viertelmix“ im Geschosswohnungsbau (25% für Geflüchtete), statt eines „Drittelmix“ (ein Drittel Eigentum, ein Drittel Marktmiete, ein Drittel Sozialwohnungen), den der Senat praktiziert. Wir meinen jedoch, dass dieses Konzept zu technokratisch und ohne Beteiligung der Betroffenen verfasst wurde, angesichts des massiven Mangels an Wohnraum zu Lasten der Wohnungssuchenden geht und viele Fragen überhaupt nicht beantwortet. Vor allem aber stellen wir die Motivation der IFIs, im Interesse der Geflüchteten zu handeln, in Frage. Es gibt sicherlich auch bei den IFIs engagierte Menschen, die die Willkommenskultur des letzten Sommers aktiv leben, andererseits gab es aus dem Umfeld der IFI aber auch wenig verhohlene rassistische Äußerungen. Vor allem sind wir jedoch skeptisch, da eine Positionierung dieser Bürgerinitiativen erst dann einsetzte, als es um Geflüchtete in der eigenen Nachbarschaft ging. Wirklich gefährlich ist jedoch das Vorhaben der IFIs, ihre kleinbürgerlichen Interessen notfalls mittels eines Volksentscheides oder mehrerer Bürgerbegehren durchzusetzen zu wollen. Wer in der momentanen, ressentiment-geladenen Stimmung, auf deren Basis AfD und Pegida ihre Suppe kochen, Volksabstimmungen über Flüchtlingsheime initiiert, läuft Gefahr eine Abstimmung über Geflüchtete selbst zu machen. Auch das Hamburger Abendblatt titelte „Erspart den Hamburgern, über Flüchtlinge abstimmen zu müssen“ und warnte vor diesem Plebiszit, welcher nach dem Willen der IFIs auch noch ausgerechnet zur kommenden Bundestagswahl 2017 stattfinden soll, wenn die AfD sowieso mit rassistischen Getöse einen Wahlkampf gegen Muslime und Geflüchtete führen wird.
Nicht in meinem Vorgarten
Die IFIs sind nicht aus den vielen Willkommensinitiativen hervorgegangen, welche sich spontan im letzten Sommer bildeten und bis heute einen wesentlichen Beitrag zur Integration der Neu-Hamburger_innen leisten. Die einzelnen IFI-Gruppen entstanden immer erst dann, wenn bekannt wurde, dass in der Nachbarschaft eine Unterkunft gebaut werden soll, und richteten sich immer gegen einen angeblich zu großen Zuzug von Refugees. Die Notunterbringungen in Lagerhallen, Ex-Baumärkten, Containern oder gar Zelten muss so schnell wie möglich beendet werden – dies duldet keinen Aufschub. Die IFIs verzögern jedoch durch ständige Klagen und andere Blockaden auch nur vorläufige Lösungen. Der geplante Volksentscheid im Sommer 2017 soll die zügige Unterbringung um ein weiteres Jahr verzögern. Verhindern wird aber auch ein Volksentscheid die bis dahin schon gebauten Siedlungen nicht mehr. Bis dahin wird jedoch mal wieder eine Debatte auf dem Rücken der Ärmsten und Rechtlosesten der Gesellschaft ausgetragen, bei der es primär darum geht, den deutschen Vorgarten vor „Überfremdung“ zu schützen.
Integration...
Mantraartig tragen die IFIs den Slogan von guter bzw. erfolgreicher Integration vor sich her, weil sie wissen, dass eine gute PR-Arbeit der halbe Erfolg ist. Bei näherer Betrachtung erweist sich jedoch vieles als reine Propaganda: Als im Herbst bekannt wurde, dass in Klein Borstel eine Unterkunft für 700 Menschen gebaut werden sollte, gründete sich sofort die Initiative „Lebenswertes Klein Borstel“, welche inzwischen dem Dachverband IFI angehört. Um ihr Anliegen durchzusetzen, engagierte die Ini den Anwalt Gero Tutlewski, der ähnlich wie in Harvestehude einen (vorläufigen) Baustopp erwirkte. Diejenigen, die sich aber tatsächlich für Integration und einen lebenswerten Stadtteil, nicht nur für die schon Sesshaften, einsetzen, gingen wenige Tage später auf die Straße. 700 Menschen, mehrheitlich Schüler_innen, demonstrierten gegen die flüchtlingsfeindliche Politik der Generation ihrer Eltern. Dass die maximale Minimierung der Geflüchtetenzahlen die eigentliche Triebkraft vieler IFI-AktivistInnen ist, offenbarte sich auch im Villenvorort Lemsahl, der aufgrund seiner gebildeten und finanzkräftigen Bewohner_innen eigentlich beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration mit sich bringen würde. Als diese jedoch nachrechneten, dass das IFI-Modell ihrem Stadtteil 300 Geflüchtete bringen würde, das Senatsmodell jedoch weniger, distanzierte sich „Lebenswertes Lemsahl“ schnell von den Volksabstimmungsplänen ihres Dachverbandes. Auch der offizielle IFI-Sprecher Klaus Schomacker ist von seinem eigenen Konzept wohl nur bedingt überzeugt. Als sich im gut situierten Blankenese im Frühjahr Protest gegen eine geplante Unterkunft für gerade mal 196 Menschen regte, schwieg der selbsternannte Oberintegrator, anstatt öffentlich zu intervenieren, weil hier ja nun gerade das umgesetzt werden soll, was er sonst als Lösungsmodell anpreist. Gegenüber Hamburg 1 war Schomackers einzige Sorge hingegen, dass die gesetzwidrige Blockade der sozial-verwahrlosten Blankeneser Reichen dem Image seiner IFIs schaden könnte.
...oder Wohlstandchauvinismus?
„Lebenswert“ bezieht sich für einige IFIs offensichtlich nur auf diejenigen, welche schon im Stadtteil leben, das entsprechende Geld und möglichst auch die entsprechende kulturelle, soziale und nationale Herkunft mit sich bringen. Die Abwehr richtet sich dabei nicht nur unbedingt gegen als fremd empfundene Geflüchtete, sondern würde sich z.B. auch gegen Unterkünfte für Obdachlose, Sexualstraftäter oder sozial Schwächere richten. Im Bezirk Eimsbüttel bestätigt sich diese Annahme ebenso wie das widersprüchliche Verhalten der IFIs untereinander. Horst Klemeyer, Sprecher von „Sozial gerechtes Eidelstedt“ und CDU-Funktionär verwies gegenüber dem Hamburger Abendblatt darauf, dass sein Stadtteil Eidelstedt im Bezirk Eimsbüttel der sozial schwächste sei und deshalb nicht so viele Geflüchtete verkrafte. Der Schicki-Micki-Stadtteil Eppendorf, im gleichen Bezirk gelegen, hat hingegen noch gar keine Geflüchteten aufgenommen. Hier engagiert sich Christine Dorow federführend in der BI „Eppendorf/Lokstedt: Integration statt Großsiedlung“, die sich ebenfalls den IFIs anschloss. Was die Abwehr von störenden Mitmenschen in ihrem Stadtteil angeht, kann die Architektin schon einige Erfahrung vorweisen. Vor ein paar Jahren sollten in Lokstedt 600 Wohnungen entstehen, davon immerhin ein Drittel öffentlich gefördert. Eine Initiative im Stadtteil wollte dies verhindern und forderte maximal 200 Wohnungen – angeführt wurden sie damals ebenfalls von Christine Dorow.
Die IFIs haben kein gesamtgesellschaftliches Konzept...
Der IFI-Sprecher Klaus Schomacker lehnt eine Diskussion über die gesamte Dimension von Migration und Flucht innerhalb seines Dachverbands entschieden ab und vermeidet allgemeinpolitische Aussagen. Gegenüber dem Hamburger Abendblattt betonte Schomacker, er wolle „möglichst viele Menschen unterschiedlicher Gesinnung“ vereinen und es sei gar nicht die Frage, wie der Flüchtlingszuzug nach Deutschland zu bewerten sei, sondern „wie Integration gelingen kann“. Damit hält Schomacker die IFIs nicht nur explizit offen für Rechte, sondern versucht die Frage von Integration im „Reagenzglas Hamburg“ zu lösen, ohne eine allgemeine Antwort auf die dringendsten Fragen auch nur zu diskutieren. Wie nämlich ein besseres Zusammenleben nicht nur in Hamburg, sondern in Deutschland und weltweit möglich ist, welches die Ursachen dafür sind, dass Menschen sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, wie diese Ursachen beseitigt werden können und wie eine humane Migrationspolitik aussehen muss. Dies sind sicherlich komplexe Zusammenhänge, die auch keine einfachen Lösungen erwarten lassen. Wer jedoch meint, am Ende der Kette globaler Zusammenhänge könnten deutsche Eigenheimbesitzer_innen einfache Lösungen per Plebiszit abstimmen, der führt bewusst in die Irre. Vor diesem Hintergrund gerät der geplante Volksentscheid zu einer lokalen Obergrenzen-Diskussion, deren Opfer die Geflüchteten sein werden.
...bevormunden Geflüchtete...
Weil die gesamte Dimension von Flucht und Migration in der Agitation der IFIs keinen Platz hat, degradieren sie die Geflüchteten auch zu ausschließlichen Objekten ihrer Politik. Der Volksentscheid und der Ruf nach direkter Demokratie für die Anwohner_innen schließen die in erster Linie Betroffenen aus. Geflüchtete und Asylbewerber_innen haben kein Wahlrecht und damit auch keine Stimme in einer Volksabstimmung, und sie haben auch kaum Möglichkeiten sich juristisch gegen Entscheidungen zu wehren, die über ihre Köpfe hinweg gefällt werden. Würde es den IFIs tatsächlich auch um das Wohl der Refugees gehen, müssten sie deren Beteiligung an Entscheidungen vehement einfordern und diese in ihre Initiativen einbeziehen. Sie müssten im Rahmen der Integration für eine schnellstmögliche Einbürgerung mit vollem Wahlrecht eintreten, die Zusammenarbeit mit selbstorganisierten Refugee-Gruppen suchen, sich an Kongressen von Geflüchteten und deren Unterstützer_innen beteiligen usw. All dies haben die IFIs bisher nicht getan.
...und spielen dem Rechtspopulismus in die Hände
Die IFIs und ihr Sprecher Schomacker grenzen sich immer wieder wortreich gegenüber der AfD ab, weisen Unterstützungsangebote für Unterschriftensammlungen der Partei zurück und behaupten, in ihren Reihen hätten AfDler_innen keinen Platz. In den Vorständen der IFI-Gruppen, die sich als eingetragene Vereine (eV) konstituiert haben, befinden sich tatsächlich keine AfD-Funktionär_innen. Ob das für die einfachen Mitglieder und die nicht in Vereinsform arbeitenden IFI-Gruppen gilt, ist nicht überprüfbar. Unter den zahlreichen Sympathisierenden der IFIs befinden sich hingegen sicherlich so einige AfD-WählerInnen. Und in der Bürgerschaft, den Bezirksparlamenten und der Öffentlichkeit unterstützt die AfD das Anliegen der IFIs, ob durch Anfragen, Anträge, Veröffentlichungen oder Veranstaltungen, z.B. zu geplanten Unterkünften. Diese inhaltliche Nähe existiert, egal ob es Schomacker passt oder nicht. Denn sie ergibt sich durch das gemeinsame Ziel, das eben nicht die vorbehaltslose Solidarität mit den Geflüchteten in den Vordergrund stellt, sondern eine Obergrenzen-Diskussion. Wer Geflüchtete in erster Linie immer wieder als Belastung für einzelne Stadtteile darstellt, braucht sich nicht über Sympathien einer Partei zu wundern, die Migration generell als Schreckgespenst an die Wand malt. Schon gar nicht, wenn sich IFI-Sprecher_innen immer wieder einer diffamierenden Sprache bedienen und Horrorszenarien von „Ghettos“, „Parallelgesellschaften“ und Kriminalität an die Wand malen. Die Politik müsse „die wachsende Angst vieler Menschen vor einer Überfremdung endlich ernst nehmen“, sagte z.B. IFI-Mitglied Anja S. als Vertreterin von „Gemeinsam in Poppenbüttel“ dem Hamburger Abendblatt. Das Wort „Überfremdung“ hat seine Wurzeln im Nationalsozialismus und wurde schon 1993 zum Unwort des Jahres gewählt. Wer mit solchem Vokabular über Menschen spricht, die vor Krieg, Terror, Armut und Unterdrückung geflohen sind, bringt wohl kaum die besten Eigenschaften für eine „erfolgreiche Integration“ der Betroffenen mit, sondern bedient sich der Sprache der extremen Rechten.
„Es gibt keine Flüchtlings-, sondern eine Wohnungskrise“
So titelte die FAZ im Februar und zitierte damit den Architekten Oliver Elser. Auch wir sind keine Fans von Großunterkünften, in denen Menschen unter widrigsten Umständen zusammengepfercht werden. Die neuen Bewohner_innen dieser Stadt müssen wie alle anderen Menschen auch möglichst schnell den Zugang zu günstigem Wohnraum erhalten. Die Beteiligung aller Betroffenen – und das heißt auch der Geflüchteten – an der Planung einer lebenswerten Stadt sollte selbstverständlich sein. Wir machen uns deshalb stark für eine Planung von unten, eine Planung im Interesse nicht nur der Privilegierten und der Mächtigen und wir engagieren uns dafür unter anderem im Netzwerk Recht auf Stadt und im Bündnis Recht auf Stadt – Never Mind the Papers. Wir kennen schon lange das Problem von ungenügendem und zu teurem Wohnraum, von sterilen unbelebten Vierteln, von technokratischen Lösungen ohne die Betroffenen, fehlenden stadtplanerischen Visionen und statt dessen der aufwendigen Finanzierung von Leuchtturm-Projekten wie der Elbphilharmonie oder der Olympia-Bewerbung. Seit Jahren fordern Initiativen aus dem Recht auf Stadt-Netzwerk, endlich den immensen Leerstand an Büroraum in bezahlbaren Wohnraum umzuwandeln und zu wirksamen Mittel gegen den Mietenwahnsinn in dieser Stadt zu greifen – anstatt sich mit symbolträchtigen Pappkameraden à la Mietpreisbremse zu brüsten, wie der Senat es tut. Die Politik der IFIs und der geplante Volksentscheid gehen aber in die falsche Richtung. Statt eine schon lange verfehlte Wohnungspolitik infrage zu stellen, werden die Probleme auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen. Den IFI-Aktivist_innen geht es dabei vor allem um Besitzstandswahrung, um den Wert ihrer Immobilien und die Konservierung des Status quo im Stadtteil, der angeblich gefährdet sei. Das penetrante Gerede von Integration dient dabei als sozialkompatible und werbewirksame Verpackung mit humanistischem Antlitz und ersetzt die bekannte Formel von „ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...“. Für die nächsten Monate ist es jedoch dringend geboten, die unzumutbare Wohnsituation in den Lagern und Baumärkten durch pragmatische Lösungen zu beenden, und für die Zukunft brauchen wir Visionen, in denen auch unsere neuen Nachbar_innen ausreichenden und angemessenen Wohnraum sowie gleiche Rechte und Teilhabe am Leben in der Stadt bekommen. Das bedeutet auch, einkommensschwache Alt-Hamburger_innen, die auf günstige Mieten angewiesen sind, nicht in Konkurrenz zu den Neu-Hamburger_innen ohne deutschen Pass zu setzen, sondern um guten und bezahlbaren Wohnraum für alle zu kämpfen. Dies werden wir jedoch nur schaffen, wenn wir einerseits die Orientierung der Stadt infrage stellen, Wohnungsbau und Wohnraum den Gesetzen des Marktes und den Profiten der Investor_innen zu überlassen. Und andererseits muss es darum gehen, Brücken zu schlagen zwischen den Bemühungen von Migrant_innen um Teilhabe, den Ansätzen von Willkommenskultur in den Stadtteilen und gegenwärtigen und künftigen Auseinandersetzungen um bezahlbaren Wohnraum, gute Arbeits- und Lebensbedingungen und den Zugang zu sozialer Infrastruktur. Eine neue Vision einer Stadt für alle, einer Stadt von unten, ist ebenso nötig wie praktische Alternativen zu den investorenfreundlichen und technokratischen Modellen des Senats.
Interventionistische Linke Hamburg, Mai 2016