Nur noch gut drei Wochen bis wir uns in Hamburg treffen. In deren Hamburg, der Stadt der Millionäre, des Hafens und der kapitalistischen Warenströme, der explodierenden Mieten, der protzigen Elbphilharmonie, der Law-and-Order-Politik von Schill bis Scholz und Verbote-Grote. Dieses Hamburg will uns nicht haben, erlässt eine beispiellose Allgemeinverfügung, die 38 km² dichtbesiedeltes Gebiet zu einer demokratiefreien No-Protest-Zone erklärt.
Aber es gibt auch unser Hamburg: die Stadt der lebendigen Stadtteilkultur, der Recht-auf-Stadt-Bewegung, der Roten Flora und einer linken Geschichte von Hamburger Aufstand bis Hafenstraße. Kaum etwas symbolisiert diesen Widerspruch so sehr wie die Messehallen: 2015 Ort der massenhaften, selbstorganisierten, praktischen Solidarität mit Geflüchteten und 2017 Austragungsort des G20-Gipfels, also der Verantwortlichen für eine Weltordnung, die Millionen Menschen zuerst in die Flucht treibt, um dann zu versuchen, sie mit Zäunen und Mauern aufzuhalten oder im Mittelmeer sterben zu lassen.
Noch gut drei Wochen, bis wir uns auf dem Alternativgipfel und in den Camps unsere Konzepte und unsere Träume von einer besseren, gerechteren, lebendigeren Welt jenseits der Gewalt und der Traurigkeit des Kapitalismus erzählen.
Am Freitag werden dann die Finger von BlockG20 aus allen Richtungen starten und das großflächige Versammlungsverbot ignorieren, um die Rote Zone bunt zu machen. Sie werden sich nicht aufhalten lassen, bis sie den G20-Gipfel in den Messehallen eingekesselt und die Straßen der Stadt für ein Festival des Widerstands erobert haben. Schon davor und gleichzeitig werden weitere Aktionen, Demonstrationen und Blockaden überall in der Stadt und im Hafen stattfinden, die von der Vielfältigkeit, der Entschlossenheit, der Radikalität und der Solidarität des internationalen G20-Widerstands getragen werden.
Am Samstag schließlich werden wir uns alle – egal woher wir kommen und an welchen Aktionen wir an den Tagen zuvor teilgenommen haben – auf der internationalen Großdemonstration zu Zehntausenden oder mehr versammeln und unsere eine gemeinsame Botschaft in die Welt schicken: Grenzenlose Solidarität statt G20!
Der Wahnsinn dreht sich weiter
Der Wahnsinn der Welt hat sich weiter gedreht in den letzten Wochen. Donald Trump verkündet den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Blind für alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, ignorant für die Lebenssituation derjenigen, die schon heute unter den Dürren, Stürmen und Überschwemmungen als Folgen des menschengemachten Klimawandels leiden. Und dennoch sind wir fast dankbar für die entwaffnende Ehrlichkeit, mit der Trump die kurzfristigen Profitinteressen der Öl-, Kohle- und Gasindustrie, über das langfristige Ziel gestellt hat, kommenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Dankbar jedenfalls dann, wenn wir die verlogene Anmaßung eines Emmanuel Macron oder einer Angela Merkel ertragen müssen, die sich für ihr Klimabewusstsein feiern lassen, während auch in Europa die CO2-Emissionen steigen, die Fließbänder der Autoproduktion nicht stillstehen, und Deutschland nicht nur Export-, sondern auch Braunkohle-Weltmeister ist.
Zum Wahnsinn der Welt gehört auch der Terror des IS und seiner Anhänger, diese falscheste und hoffnungsloseste Form des Aufbegehrens gegen die gleichfalls hoffnungslose Weltherrschaft des Kapitalismus. Unterschiedslos werden Menschen in den Tod gerissen, weil sie zufällig am falschen Ort sind, weil sie feiern, weil sie leben wollen. Auch wenn die westlichen Kriege und die rassistische Ausgrenzung innerhalb der westlichen Gesellschaften zu den Ursachen hierfür gehören, so lassen wir keinen Zweifel daran, dass die Dschihadisten ebenso wie die Faschisten die Todfeinde aller linken und freiheitsliebenden Menschen sind: in Rojava, wo unsere kurdischen und internationalen Genossinnen den IS bekämpfen, ebenso wie hier und überall. Und gleichzeitig verweigern wir uns der Aufforderung, uns mit dem Lager der Ordnung gemein zu machen. Wir stimmen nicht ein in die falsche Gemeinsamkeit der falschen Demokraten. Wir legitimieren nicht die Überwachung, die Aufrüstung der Polizei, den Ausbau der Geheimdienste und den Ausnahmezustand.
Rebellion und Hoffnung aus Nürnberg nach Hamburg tragen
Am 31. Mai detonierte im Botschaftsviertel Kabuls eine gewaltige Bombe. Weit über 100 Menschen starben, Hunderte wurden schwer verletzt. Am Abend des gleichen Tages sollte ein weiterer Abschiebeflug aus Deutschland nach Afghanistan starten. So wie Trump gegen die Tatsachen den Klimawandel leugnet, sind es die alternativen Fakten der Bundesregierung, dass es sichere Gebiete in Afghanistan gebe. Aber es geht ihnen weder um die Wahrheit noch um das Schicksal der Refugees, die zurück in den Krieg geschoben werden sollen, dem sie entkommen waren. Es geht ihnen um die Wiederherstellung der Kontrolle über die Migration und um das Signal an die vielen Rassist_innen im Land, dass sich die Regierungsparteien auf praktische Unmenschlichkeit genauso gut verstehen wie die AfD.
Doch noch etwas geschah an diesem 31. Mai: Aus einer Nürnberger Berufsschule wurde ein Schüler von der Polizei aus dem Unterricht geholt, um in den Abschiebeflieger nach Afghanistan gesetzt zu werden. Seiner Mitschüler_innen entschlossen sich spontan, das Unrecht nicht einfach geschehen zu lassen. Sie blockierten die Polizeiautos, bis die Polizei durchdrehte und mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Schüler_innen vorging. Damit wurde das Abschieberegime als das entlarvt, was es ist: Nackte Gewalt. Die mutige Aktion der Schüler_innen, das Zusammentreffen mit dem verheerenden Anschlag in Kabul und die folgende öffentliche Empörung haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Abschiebungen nach Afghanistan zunächst ausgesetzt sind. Das ist die Hoffnung, die aus Rebellion entsteht.
Das Richtige tun – den Gipfel blockieren
Es ist genau das, was wir uns auch für Hamburg erhoffen: Dass Menschen dem Unrecht und der Unvernunft des globalen Kapitalismus nicht tatenlos zuschauen. Dass sie sich empören über die Diktatoren, die Autokraten und die Neoliberalen, die in Messehallen und Elbphilharmonie scherzen und Häppchen essen, während sie tausende in die Knäste geworfen haben, blutige Kriege führen, die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen, die Zukunft des Planeten und seiner Bewohner_innen verspielen – und bei alledem nur an ihre Geschäfte und ihre Vorteile denken. Dass sie sich den falschen Alternativen verweigern und sagen: Weder Trump noch Merkel! Dass tausende Menschen trotzig darauf bestehen, dass es unsere Stadt ist, die für ein absurdes Schauspiel der Macht zur Kulisse degradiert werden soll. Dass sie sich trotz all der Gewaltszenarien, all der Drohungen und Schikanen, das Recht auf Versammlung nicht nehmen lassen. Dass aus vielen Akten des Protests, des Aufbegehrens, der Selbstermächtigung und der Rebellion schließlich ein großes gemeinsames Zeichen der Hoffnung wird, das weit über Hamburg hinaus verstanden wird. Dass diese Hoffnung neue Rebellion auslöst – und so die Kräfte stärker werden, die im Wahnsinn der Welt das Richtige tun.
Wie wir den Wahnsinn stoppen, was wir der Brutalität der Verhältnisse und der Stärke der Herrschenden entgegensetzen, wie wir den Mut und die Solidarität entwickeln können – dazu haben wir – wie wahrscheinlich alle – jede Menge offene Fragen. Was wir aber wissen, ist dass ein neuer Anfang keine abstrakte Sehnsucht, sondern eine konkrete Notwendigkeit ist.
Which side are you on?
Die Hamburger Medien überschlagen sich seit Wochen mit einer absurd überzogenen Gewaltdebatte. Es wird systematisch Angst vor den Protesten geschürt und der Eindruck erweckt, als plane irgendwer im Ernst, die halbe Stadt zu zerstören oder die Hamburger Bevölkerung zu attackieren. Das Missverhältnis ist offensichtlich: Während die Gewalt der Staatschefs, die Kriege führen und Fluchtwege versperren, achselzuckend hingenommen wird, sollen die Proteste gegen sie auf Friedlichkeit und Harmlosigkeit eingeschworen werden. Und während über die Gefahr für Fensterscheiben und Polizeifahrzeuge lamentiert wird, geht die tatsächliche, brutale, manchmal tödliche Gewalt bei Gipfelprotesten überwiegend von der Polizei aus. So wie in Genua 2001, als Carlo Giuliani von der Polizei erschossen wurde und das Vorgehen der italienischen Einsatzkräfte vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Folter verurteilt worden ist.
Aus all diesen Gründen werden wir uns nicht von anderen Aktionen oder Gruppen der G20-Proteste distanzieren. Wir sind voller Vertrauen, dass alle Aktivist_innen auf den Straßen verantwortliche Aktionen starten werden, die sich nicht gegen die Menschen in Hamburg, sondern gegen die G20 und diejenigen, die sie beschützen, richten werden. Nicht alles werden wir selbst tun, nicht alles werden wir richtig finden, vielleicht werden wir auch solidarische Kritik üben. Aber wir werden niemals vergessen, auf welcher Seite wir stehen und daher das vergiftete Angebot zurückweisen, durch Distanzierung auf die dunkle Seite der Macht zu wechseln.
Sagen was wir tun - Tun was wir sagen
Für unser eigenes Handeln bei den von uns mitorganisierten Aktionen gilt, dass wir sagen, was wir tun – und tun, was wir sagen. Das heißt für BlockG20, dass wir es ernst meinen mit der Absicht, die Zufahrtswege zu den Gipfelorten für die Delegationen und für die Infrastruktur zu blockieren. Es kann sein, dass die Staatschefs irgendwie an den Tagungsort transportiert werden können – aber dann sollen sie in den Messehallen und in der Elbphilharmonie umzingelt sein vom massenhaften, bunten und lebendigen Widerstand auf den Straßen. Ob dieser Plan gelingt, hängt weit mehr als von dem Vorgehen der Polizei von zwei anderen Faktoren ab: Der Entschlossenheit und der Zahl der Blockierer_innen. Der vereinbarte Aktionskonsens dient genau dazu: Menschen Mut zu machen, sie zu den Aktionen einzuladen und dafür eine verlässliche Orientierung für das gemeinsame, solidarische Handeln zu geben. Denn es ist nicht radikalste Aktion, die wir anstreben, sondern diejenige, in der möglichst viele Menschen ermutigende Erfahrungen von Selbstermächtigung und Widerstand machen.
Bei der internationalen Großdemonstration am Samstag werden wir gemeinsam mit anderen linksradikalen Gruppen einen großen antikapitalistischen Block bilden. Inhaltlich wollen wir dort neben der radikalen Kritik an den G20 und dem globalen Kapitalismus vor allem unsere Verbundenheit mit der kurdischen Freiheitsbewegung in Rojava, in der Türkei und hier in der BRD zum Ausdruck bringen. Wir stehen gemeinsam gegen das Verbot der PKK und für das Projekt einer umfassenden, basisdemokratischen gesellschaftlichen Befreiung. Unser Block soll selbstbewusst, geschlossen und handlungsfähig sein – immer an dem Ziel orientiert, die Großdemonstration mit allen Blöcken und Spektren gemeinsam von Anfang bis Ende zu laufen und die Protestwoche mit einer großartigen Abschlusskundgebung auf dem Heiligengeistfeld zu beenden.
Gut drei Wochen also noch, bis wir in Hamburg zusammenkommen mit unseren Freund_innen und Genoss_innen aus vielen Städten und aus vielen Ländern. Für ein gemeinsames Zeichen der Rebellion, der Hoffnung und der grenzenlosen Solidarität. Damit wir uns an Hamburg erinnern werden wie an Seattle oder an Heiligendamm, als einen Meilenstein und einen neuen Anfang. Ob es gelingt? Am Ende entscheidet die Straße.