Was ist hier eigentlich los?
Seit Monaten demonstrieren in Dresden und anderswo "Patriotische Europäer" gegen eine vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes", die Teilnehmerzahlen steigen laut Polizeiangaben von Woche zu Woche bis auf mittlerweile über 17.000 an. Obwohl laut unabhängigen Beobachtern die Zahlen um mindestens ein Drittel überhöht sind, packt uns doch der Würgreiz. Ist es nicht gerade erst gelungen, durch ein breites Bündnis namens "Dresden Nazifrei" den größten Naziaufmarsch Europas in den Mülleimer zu treten? Neben Unglauben macht sich Wut breit, Wut auf die Zähigkeit eines "Patriotismus", der wie ein ausgespuckter Kaugummi am Straßenpflaster klebt und schlicht nicht loszuwerden ist. Selbst den Stadtvätern von Dresden ist dieser Schandfleck peinlich, lieber sähen sie sich als europäische Kulturhauptstadt denn als Brutstätte eines dumpfbackigen Patriotismus. Mit einer Schnelligkeit, die an den "Aufstand der Anständigen" des Jahres 2000 erinnert, reihen sich lokale Würdenträger, aber auch bundesweite Institutionen des Politischen Normalbetriebs in die Verurteilung ein. Die AFD umarmt Pegida, die CSU laviert - aber von Merkels großer Koalition bis hin zum Arbeitgeberverband gibt es ansonsten nur Schelte für Pegidas Patrioten. Zuwanderung, so heißt es, nützt ja auch der Wirtschaft und damit "uns".
Damit ist scheint alles gesagt, mehr hört man nicht. Doch ist das schon genug? Wir meinen, nein. Dieselben Eliten, dieselben Medien, die sich heute über PEGIDA und die AfD mokieren, haben diese Zustände erst möglich gemacht. Ein nach vorne weisender Protest gegen Pegida muss mehr sein als das moralische "sowas tut man nicht" - er muss rassistische gesellschaftliche Strukturen und geistige Brandstifter benennen und darüber hinaus die soziale Frage stellen.
Pegida und Populismus - eine Massenbewegung gegen "die da oben"
Pegida und ihre Klone anderswo haben kein Programm. Sie funktionieren durch eine diffuse Anti-Haltung, ein Dagegen - gegen Muslime, gegen die Ausländer - aber auch gegen die "Lügenpresse" und "Die da Oben", gegen das Establishment. Ähnlich wie sich die Nazis damals wie heute als Kämpfer gegen das System inszenierten, funktioniert auch Pegida nur durch die Inszenierung als Aufstand der Kleinen Leute, als Rebellion der Erniedrigten und Beleidigten, denen von irgendeiner diffusen Kraft etwas weggenommen wird. Für sie ist diese Kraft immer das Fremde, dass Heimat und Ordnung bedroht - Bei Pegida und PRO Deutschland sind´s Muslime, und im Bunde mit ihnen die "politisch korrekte" Lügenpresse, in der "das Volk" nicht zu Wort kommt, ebensowenig wird "das Volk" durch die gewählten Parteien vertreten - daher Protest auf der Straße.
Durch PEGIDA wird in rassistischer Form eine Ohnmacht thematisiert, die im Neoliberalen Zeitalter überall anzutreffen ist. Im Merkelismus der Großen Koalition sind Sparpakete und Niedriglohn Konsens, die grüne Opposition bietet keine Alternativen, einzig die Linkspartei schert hin und wieder aus. Die Leitmedien, immer mehr konzentriert in der Hand weniger Großunternehmen, reproduzieren den Neoliberalen Einheitsbrei und schweigen zur sozialen Frage. Wer sich seine eigene Meinung bilden will, geht ins Internet - und trifft dort neben kritischen Nachdenkseiten auf die wildesten Verschwörungstheorien. Im Jahr 10 nach Hartz4 gibt es kaum eine ernstzunehmende öffentliche Diskussion über einen Politikwechsel, soziale Grundsicherung, über Menschenwürde. Denn das würde Faulheit ermuntern, und die kann sich der "Standort Deutschland" nicht leisten. Selbst ein mickriger Mindestlohn von 8,50 wird zerredet als wäre er der Untergang des Abendlandes.
Abstiegsängste und Rassismus der Mitte
Und hier sind wir wieder bei PEGIDA: die massive Entrechtung der Arbeitslosen und Lohnabhängigen in den letzten Jahren hat riesige Abstiegsängste bis in die Mittelschicht hinein erzeugt. Prekär ist das Wort der Stunde, es bedeutet unsicher, und Unsicherheit schürt Angst. Statt sozialer Marktwirtschaft oder DDR-Vollbeschäftigung der vergangenen Generation herrscht in der Berliner Republik das Gefühl, das einem hinter der nächsten Ecke wieder etwas weggenommen wird, das der eigene Status ständig bedroht ist. Und genau hier liegt der Erfolg von rassistischen Mobilisierungen: allzu schnell lässt sich der Kurzschluss Herstellen, dass es die Ausländer, Muslime, faulen Griechen etc. etc. seien, die "uns" das Geld aus der Tasche ziehen. Diese Angst wird aber gerade nicht nur von Pegida geschürt. Sie ist Produkt von "Volksparteien" und Funktionseliten: Die Beschimpfungen an das "faule" Griechenland kommen von Kanzlerin und Finanzminister, die Hetze gegen den Islam von den Titelseiten des Spiegel, der sich nun verwundert die Augen wischt vor den Ressentiments, die er selbst geschürt hat. Rassismus ist im Medien- und Politikbetrieb nicht Ausnahme, sondern der Standardbetrieb. Obwohl die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter aufgeht, wird davon ausgegangen, dass es ein deutsches "wir" gibt, ein Kollektiv, dem sich der Rest der Welt anzupassen hat - durch "Integration" oder "Reformen" nach deutschem Muster - und weil "die Griechen" faul sind, bekommen sie aus Berlin einen Sozialkahlschlag verordnet, gegen den Hartz4 noch harmlos ist. In Athen herrscht dank Merkel und Schäuble ein Elend, dass man in Berlin seit 1929 nicht mehr gesehen hat.
Aufstand der Anständigen am Standort Deutschland?
Es ist eine peinliche Posse, dass in dieser Situation die einzige ökonomische Analyse zu PEGIDA vom Arbeitgeberverband kommt: Zuwanderung ist gut für die deutsche Wirtschaft heißt es dort. Dies soll uns als Rezept gegen Rassismus verkauft werden, doch mit Humanismus hat es nichts zu tun. Menschen, die herkommen, dürfen das, weil sie "unser" Wirtschaftswachstum erhöhen. Dies ist zynisch und kein Widerspruch zu dem, was PEGIDA, ProDeutschland und AfD predigen: was gut für Deutschland ist, das lassen "wir" zu. Wenn christliche, liberale und linke Kräfte hier nicht widersprechen, dann zeigt es nur, wie wirkmächtig die Denkmuster des menschenfeindlichen Neoliberalismus schon sind: "Die Wirtschaft", also die kapitalistische Kunst aus Geld mehr Geld zu machen, ist das Ende aller Dinge und die Letztbegründung für Politik. Das die Thesen von PEGIDA der Menschenwürde widersprechen - das sie erst möglich sind, weil das Regime von Niedriglohn und Austeritätspolitik europaweit jede Menschenwürde verletzt und das Arbeitsleben in ein Rattenrennen verwandelt, bei dem - Amazon lässt grüßen - jeder Gang zum Klo noch elektronisch überwacht und wegrationalisiert wird - darüber wird nicht mehr geredet. Darüber muss aber geredet werden: Wer aufsteht gegen Pegida, dem darf das soziale Elend in Europa nicht egal sein.
Was tun?
Sollen wir also nicht mehr blockieren, demonstrieren? Nein - PEGIDA und ähnliche Phänomene müssen auf der Straße gestoppt werden, in breitest möglichen Bündnissen. Doch die Begründung darf nicht eine des ökonomischen Kalküls sein. Im Gegenteil: Protest gegen Pegida muss Protest sein Gegen die Logik der herrschenden Verhältnisse:
- Gegen Niedriglohn und Prekarisierung in Deutschland
- Gegen den Export dieses Sozialkahlschlags durch Austeritätspolitik in Europa
- Gegen das Sterben an den Außengrenzen der EU, organisiert von "demokratischen" Regierungen
- Gegen Militäreinsätze von NATO und EU-Staaten, die wie in Libyen Flüchtlingselend erzeugen
Diese Themen gemeinsam anzugehen, dazu braucht es Organisation und Kontinuität. Lasst uns Heute gemeinsam gegen PEGIDA demonstrieren, und am 18. März mit BLOCKUPY gegen den Export der Verelendung durch Schäuble und die EZB. Nicht nur hier, sondern überall muss offensiv die soziale Frage thematisiert werden - PEGIDA ist keine Abweichung, sondern Ergebnis der Herrschenden Verhältnisse.
IL Berlin - Februar 2015.