Wer andern eine Grube ...

Artikel zu geplanten Kohleblockade "Ende Gelände" in der ak erschienen
unbekannt

Aktion Für August plant ein breites Bündnis eine Kohleblockade im Rheinland

Massenblockade:
Für das Wochenende vom 14. bis 16. August 2015 ruft das Bündnis Ende Gelände! zu einer Massenblockade auf, die den größten CO2-Verursacher Europas - die Tagebaue im Rheinischen Braunkohlerevier - lahmlegen soll. Ob an der Abbruchkante oder in der Grube - gemeinsam sollen die Kohlebagger des Energiekonzerns RWE zum Stillstand gebracht werden. Als Interventionistische Linke beteiligen wir uns an der Vorbereitung und Mobilisierung.

www.ende-gelände.org

 

Auf dem UN-Klimagipfel im Dezember in Paris (COP 21) werden Regierungen und Konzernlobbyist_innen den Weg zu einer globalen Erderwärmung um mehr als vier Grad besiegeln. Um die unkontrollierbaren und katastrophalen Folgen zu verhindern, müssen wir den Klimaschutz selbst in die Hand nehmen. Denn die auf den Klimakonferenzen anvisierte marktorientierte Zurichtung und Verwertung der Umwelt zielt darauf, dass das ungleiche Wachstumsmodell des globalen Nordens weiterbesteht. Die zerstörerischen Kosten werden auf Arme und die Umwelt abgewälzt.

Kapitalismus und Klimaschutz sind ein Widerspruch: Trotz aller grünen Innovation bleibt das globale Wirtschaftssystem von fossilen Ressourcen abhängig, und das weltweite Wachstum des CO2-Ausstoßes hat sich noch einmal beschleunigt. Darum werden wir im August innerhalb eines breiten Bündnis im größten Braunkohleabbaugebiet Europas im Rheinland den absurden Alltag des kapitalistischen Wirtschaftssystems blockieren und die Kohlebagger zum Stillstand bringen.

Die Zeit ist reif

Auch in Deutschland spitzt sich die Auseinandersetzung um den Klimawandel zu: Das zeigen der mögliche Rückzug Vattenfalls aus der Lausitz, die dieses Jahr fällige Leitentscheidung zur Zukunft des Tagebaus im Rheinland nach 2030 und die Auseinandersetzung um die Zukunft der Kohlekraftwerke.

Wie sehr sich Deutschland im Vorfeld der COP-Konferenz trotz nicht erreichter Einsparziele als Klima-King inszenieren kann, hängt vom gesellschaftlichen Druck in den nächsten Monaten ab. Die Situation ist ideal, um den Widerspruch von Kohle und Klimaschutz öffentlichkeitswirksam zuzuspitzen. Das Rheinische Braunkohlerevier steht im Zentrum dieser Auseinandersetzung, da es neben den negativen Effekten für die ansässigen Bewohner_innen, Landwirt_innen und Ökosysteme für etwa zehn Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands verantwortlich ist. RWE ist dabei das zentrale Symbol für die schmutzige Braunkohleindustrie.

Doch während die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ihre Muskeln spielen lässt, ist die Klima- im Gegensatz zur Anti-Atom-Bewegung als große Kraft kaum existent. Seit einigen Jahren finden jährlich im Sommer Klimacamps statt, die zwar tolle Aktionen machen, aber klein bleiben und medial kaum wahrgenommen werden. Im Rheinland selbst gibt es direkt vor Ort kontinuierlichen und erbitterten Widerstand, von den Bürgerinitiativen der abgebaggerten Dörfer bis hin zur Waldbesetzung im Hambacher Forst.

In der Region ist RWE jedoch breit verankert, während die meisten Klimagruppen ihre Homebase eher außerhalb des Rheinlands haben. Mit einer bundesweiten Mobilisierung zu Massenaktionen des zivilen Ungehorsams wollen wir dem Widerstand vor Ort den Rücken stärken und gleichzeitig in die bundespolitische Auseinandersetzung eingreifen.

Es sind durchaus viele Menschen bereit, auf die Straße zu gehen. Im Sommer 2014 kamen mit der von Greenpeace, den Naturfreunden, Campact und Co. organisierten Menschenkette 7.500 Aktivist_innen in die Lausitz, im April dieses Jahres 6.000 ins Rheinland. Im September 2014 konnten mit 10.000 Teilnehmer_innen überraschend viele Menschen zu einer Klimademo von Avaaz in Berlin mobilisiert werden. Bei der Degrowth-Konferenz in Leipzig im letzten Jahr kamen über 3.000 Teilnehmer_innen zum Thema Wachstumskritik zusammen.

Für Basisinitiativen ist der Versuch, viele Menschen zu mobilisieren, aber auf keinen Fall ein Selbstläufer. Daher haben sich viele Gruppen zusammengeschlossen, um mit der Aktion im Rheinland einen gemeinsamen Kristallisationspunkt zu schaffen. Die meisten Gruppen haben sich bewusst dagegen entschieden, zu einem erneuten Gipfelevent nach Paris zu mobilisieren, sondern sehen im direkten Widerstand vor Ort eine Alternative zum vergeblichen Hoffen auf Regierungsverhandlungen. Gleichzeitig wollen sie die erhöhte mediale Aufmerksamkeit vor Paris für ein größeres Zusammenkommen nutzen.

In der Idee einer Massenaktion des zivilen Ungehorsams gegen Kohle treffen sich unterschiedliche Spektren: das Umfeld des bundesweiten Netzwerks Energiekämpfe in Bewegung und des Rheinland-Klimacamps, das den Wunsch hat, durch eine niedrigschwellige Aktion mehr Menschen und ein breiteres Spektrum mobilisieren zu können; Zusammenhänge aus den Menschenkettenmobilisierungen, die den Wunsch haben, von rein symbolischen Protestaktionen eine Eskalationsstufe weiter in Richtung ziviler Ungehorsam zu gehen; Veranstalter_innen der Degrowth-Konferenz, die im Rheinland mit einer Summer School ihre Debatten fortsetzen wollen und zugleich hoffen, ihre Teilnehmer_innen stärker an Aktionen heranzuführen.

Breite statt Eventmobilisierung

Das Besondere an der Aktion ist also die Mischung der Akteure, deren alltägliche politische Praxis sich sehr unterscheidet. Zugleich sind alle bereit, zugunsten einer gemeinsamen Aktion auch Abstriche zu machen. Eine breit angelegte, gemeinsame Aktion birgt die Chance, einen Grundstein für weitere Proteste in den nächsten Jahren zu legen und die alltägliche Arbeit der unterschiedlichen Initiativen nachhaltig zu stärken.

Als Interventionistische Linke ist es uns dabei wichtig, keine Eventmobilisierung für eine radikale Linke zu wiederholen. Mit den Protesten zum Klimagipfel 2009 in Kopenhagen haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein solches Zusammentrommeln durch das Versprechen von Aufmerksamkeit und »action« wenig dazu beiträgt, die eigentlichen Klimabewegungsstrukturen am Ende nachhaltig zu stärken.

Stattdessen werden wir uns darauf konzentrieren, Menschen zu mobilisieren, die weniger radikal sind oder sich bislang nicht unbedingt zugetraut haben, an Aktionen des zivilen Ungehorsams teilzunehmen. Ziel ist es, diese nachhaltig für ökosoziale Kämpfe zu begeistern und Bewegungsstrukturen auszubauen.

Die Aktion wird weniger an »Castor? Schottern!« anknüpfen, wo es uns darum ging, in einer mit gesellschaftlichem Rückenwind ausgestatteten Anti-Atom-Bewegung ein klare Zuspitzung zu organisieren. Vielmehr ist es jetzt sinnvoll, das Aktionsniveau eher abzusenken. Die Belagerung und Besetzung der Kohlegruben ist schwer zu unterbinden und hat einen hohen symbolischen und emotionalen Gehalt: eine unglaublich große Grube voll Geröll mit apokalyptischen Riesenschaufelbaggern, die belagert und besetzt werden können. Es ist machbar, diese Bagger dabei auch effektiv zum Stehen zu bringen und so mehr als nur symbolisch zu protestieren.

Ökosoziale Allianzen der Kohlethematik

Mit unserer Beteiligung wollen wir aber nicht nur zu einer Verbreiterung der Bewegung beitragen. Uns ist darüber hinaus besonders wichtig, die Kohlethematik inhaltlich mit den sozialen Aspekten der Energieversorgung zu verzahnen. Uns ist bewusst, dass es nicht ganz einfach ist, mit einer Baggerblockade mehr als die Folgen des Braunkohleabbaus medial zu vermitteln. Aber wir wollen in der Bewegung wieder eine stärkere gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung darüber führen, wie wir an die Lebenssituation von Menschen hier anknüpfen können und wie sich sozialchauvinistische Ökopositionen zurück drängen lassen. Wir sehen beispielhaft zwei Anknüpfungspunkte:

1. Gewerkschaften und Kohle: Wir sollten anfangen, die Perspektive von Arbeitsplätzen und Interessenvertretung in der Kohleindustrie und bei den Erneuerbaren Energien gemeinsam mit progressiven Teilen der Gewerkschaftsbewegung zu diskutieren. Der Kohleausstieg wird nicht gegen den geschlossenen Widerstand der Beschäftigten möglich sein. Es geht darum, einerseits die Gewerkschaften zu kritisieren, wenn sie sich zum Sprachrohr der Energiekonzerne machen. Andererseits gilt es, nicht die Augen davor zu verschließen, dass die Arbeitsbedingungen in großen Teilen der Erneuerbaren wesentlich schlechter sind als jene, die von gut organisierten Kolleg_innen bei RWE und Co. erkämpft wurden. Die in der Ökobranche vorhandene Gewerkschaftsfeindlichkeit - die erschwert, dass sich die dortigen Belegschaften organisieren und für mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können -, steht also einem Umbau der Energieversorgung direkt im Weg.

Auch unabhängig von der Energiewende hat in der Kohleindustrie aufgrund von Rationalisierungen in den letzten 50 Jahren ein enormer Stellenabbau stattgefunden. Angesichts der Krise der Energiekonzerne dürfte sich das in den nächsten Jahren verschärfen. Gerade deshalb brauchen die Beschäftigten in der Kohleindustrie eine echte Perspektive. Eine Vergesellschaftung von RWE und Co. könnte die Grundlage sein, um die dortigen Arbeitsplätze zu einer sinnvolleren Tätigkeit umzuwandeln und den Kommunen Mittel für einen ökologischen Umbau in die Hand zu geben.

2. Energiearmut: Konzernlobbyisten wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft haben es erfolgreich geschafft, den Eindruck zu vermitteln, die Erneuerbaren würden die Energiepreise nach oben treiben und die Kohle sei ein Garant für niedrige Stromkosten. Der Kostenanstieg für Privathaushalte ist tatsächlich ein Problem: In Deutschland wird jedes Jahr fast 350.000 Haushalten der Strom abgeklemmt, weil sie sich die steigenden Strompreise nicht mehr leisten können.

Noch viel mehr Haushalte schieben einen Energieschuldenberg vor sich her. Die Ursache für den Preisanstieg der letzten 20 Jahre liegt aber in der Privatisierung der Energieversorgung und damit im Profitstreben der Energiekonzerne. Hinzu kommt, dass die Kosten der Energie immer ungerechter verteilt werden. Während die deutsche Industrie massiv von den niedrigen Börsenstrompreisen durch den Boom der Erneuerbaren profitiert, werden die Haushalte einseitig mit den Kosten dafür belastet.

Wir dürfen die Debatte um Energiearmut und steigende Strompreise nicht den Neoliberalen überlassen. Diese haben ohnehin kein Interesse, die Situation der Betroffenen zu verbessern. Mit dem Verbot von Stromabklemmungen könnten wir den Energiekonzernen ein Instrument aus den Händen schlagen, mit dem sie ihren Kund_innen die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wie Kochen, Licht und Heizen verunmöglichen. Außerdem müssen die Sozialleistungen sofort die tatsächliche Höhe der Stromkosten abdecken. Perspektivisch muss es darum gehen, die ökologischen Bewegungen von ihrer grünen Mittelstandsfixierung zu lösen und zu einem natürlichen Verbündeten der Armen und Marginalisierten zu machen.

Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Eroberung der Kohlegruben im August geht es darum, jetzt dafür die Grundlage zu schaffen. In vielen Orten sind Menschen aktiv, die kritisch auf die Klimaverhandlungen blicken. Auch anderen können wir vermitteln, warum von den Regierungen keine Rettung zu erwarten ist: Die Interessen der Mächtigen gehen klar in die entgegengesetzte Richtung.

Und auch denen, die sich noch wenig mit der Erderwärmung beschäftigt haben, können wir sagen: Es geht nicht um Eisbären! Der Klimawandel bedeutet die weltweite Verschärfung der sozialen Auseinandersetzungen um begrenzte Ressourcen und Lebensgrundlagen. Jetzt ist die Gelegenheit, sich zusammenzuschließen und diesen Wahnsinn zu stoppen. Die Bagger warten auf uns!