Der folgende Artikel erschien zuerst in der G8Xtra Nr. 1:
Fein säuberlich ausdifferenziert hatten wir uns in die behaglichen Nischen der Teilbereichspolitik zurü̈ckgezogen. Wir waren und sind aktiv in der Antifa-, AntiRa-, Öko-, Pop-, Kultur- oder Gewerkschaftslinken, in internationalistischen, feministischen, sozialrevolutionären oder antimilitaristischen Initiativen – wir schreiben, diskutieren und demonstrieren. Einige Erfolge konnten wir verbuchen, viele Niederlagen mussten wir hinnehmen. Aber das Gefühl, den grundsätzlichen gesellschaftlichen Entwicklungen letztlich ohnmächtig gegenü̈ber zu stehen, haben wir immer wieder erlebt.Konkret zusammengebracht hat uns der Aufbruch der Bewegungen gegen den globalisierten Kapitalismus. Diese Bewegung der Bewegungen wurde zum praktischen Laboratorium linker Politik, hier konnten neue Formen der Zusammenarbeit entstehen. Nach den Aktionen gegen den EU- und G7-Gipfel in Köln 1999 hatten wir als lockeres Diskussionstreffen begonnen. Ausgangspunkt für das Projekt Interventionistische Linke war das gemeinsame Bedürfnis, sich nicht mit einer bloß kommentierenden und kritisierenden Rolle zu begnügen, sondern praktisch in die realen politischen und sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen – eben zu intervenieren.
Wenn die Linke in Deutschland ihre relative Bedeutungslosigkeit überwinden und wieder realen Einfluss auf die Richtung von Politik und gesellschaftlicher Entwicklung nehmen soll, dann wird dies nicht das Werk einer einzelnen politischen Organisation oder Strömung sein können. Daher ist die Interventionistische Linke kein Ansatz zur Gründung einer weiteren parteiförmigen Organisation in Konkurrenz zu bereits bestehenden, sondern ein offenes Projekt, das sich durch Intervention in praktische Kämpfe entwickeln soll. Gleichwohl erachten wir den gegenwärtigen Zustand der Unorganisiertheit der Linken als ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zu gesellschaftlicher Relevanz. Dieses Hindernis kann nur mit neuen Formen von Organisiertheit überwunden werden, zu deren Entwicklung wir unseren Beitrag leisten wollen.
Während der Unmut über den Neoliberalismus weltweit verschieden, aber deutlich wahrnehmbar zum Ausdruck kommt, bleibt die Beschwörung des revolutionären Umbruchs dennoch als bloße Geste in der Luft hängen, wenn wir als Linke es z.B. nicht geschafft haben, Hartz IV zu verhindern.
Gerade in dieser gegenwärtigen Situation bedeutet der Versuch realer Veränderung also einen Spagat zwischen Reform und Revolution: Nicht in linksradikaler Rhetorik zu verharren, sondern in breiten Bündnissen die konstruktive, faire Zusammenarbeit zu suchen und gleichzeitig antikapitalistische Positionen hineinzutragen sowie für konfrontative Aktionsformen wie z.B. sozialen Ungehorsam zu werben.
Inhaltlich wollen wir das durch die Entwicklung von Richtungsforderungen leisten. Sie sollen unseren Vorstellungen von einem anderen, besseren Leben konkreten Ausdruck verleihen und gleichzeitig über die Grenzen des Kapitalismus hinaus die mögliche Richtung gesellschaftlicher Veränderung aufzeigen. Sie erinnern an das selbstverständliche Recht aller Menschen überall auf gleichen Zugang zum (welt-)gesellschaftlichen Reichtum und den Mitteln seiner gesellschaftlichen Reproduktion: Alles für Alle!
Beispiele hierfür sind unsere Forderungen nach einem bedingungslosen ausreichenden Existenzgeld für alle, dem Recht auf globale Bewegungsfreiheit, der Legalisierung für alle hier lebenden MigrantInnen, Wiederentwaffnung jetzt!, der bedingungslosen Streichung der Schulden des globalen Südens sowie Reparationszahlungen für mehr als 500 Jahre Ausbeutung und Kolonialismus und dem sofortigen Ausstieg aus allen Destruktivtechnologien.
Die Zahl möglicher Richtungsforderungen ist vorab nicht zu begrenzen, sondern hängt vom Stand und – eben! – der Richtung der sozialen Kämpfe ab.
In dem Maß aber, in dem Richtungsforderungen die Kämpfe und Bewegungen in Kommunikation bringen, werden sich die Macht- und die Eigentumsfrage wieder als aktuelle Fragen stellen. Eine radikale Linke wird ihre Antworten nur in der Perspektive der Aneignung formulieren können. Sie wird in der Radikalisierung der konkreten sozialen Forderungen sicht- und streitbar machen, dass die rebellischen Wünsche und emanzipatorischen Ansprüche im Kompromiss mit der kapitalistischen Herrschaft nicht befriedigt werden, sondern nur in einer langfristig angelegten Politik des revolutionären Bruchs mit dieser Herrschaft ausgefochten werden können. In der Perspektive geht es um die kollektive Aneignung des weltgesellschaftlichen
Reichtums und der materiellen und symbolischen Bedingungen seiner Reproduktion, d.h. um die Abschaffung kapitalistischer, patriarchaler und imperial(istisch)er Herrschaft.
Als praktisches Experimentierfeld unserer Zusammenarbeit haben wir den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gewählt. Im Widerstand gegen den Gipfel soll unsere Initiative ihre ersten Schritte tun.
Fü̈r eine interventionistische Linke
Februar 2006