Gleichzeitig zeigten sich viele Menschen solidarisch mit Geflüchteten. An diese positive Entwicklung knüpft die Idee des Social Centers an, zugleich sollen paternalistische Hilfsstrukturen überwunden werden. Das Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen sich politisch organisieren können, wo Beratungsangebote gebündelt werden und sich Menschen fernab jeglicher Verwaltung durch Behörden oder Kontrolle durch Wachdienste begegnen können. Die Maßgabe, ein Zentrum »für alle« zu schaffen, war von Anfang an eine klare Absage an die Versuche, verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Auch in anderen deutschen Städten entstanden über den Sommer ähnliche Ideen. In Göttingen ist seit dem 5. November ein seit 2009 leer stehendes Haus besetzt (ak 610). Inzwischen wohnen in dem besetzten DGB-Gebäude Geflüchtete. Außerdem werden dort Sprachkurse angeboten, es gibt ein offenes Fluchthilfetreffen und ein Café soll eingerichtet werden. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist groß, sogar der Chefredakteur des Göttinger Tageblatts überschrieb eine seiner Wochenendkolumnen mit »Danke, Hausbesetzer«.
Bereits 2014 versuchten Menschen in Frankfurt am Main, Obdachlose und Geflüchtete in Wohnungen und Wohngemeinschaften unterzubringen. Schnell wurde klar, dass alleinig privates Engagement keine ausreichende Perspektive sein kann. Daher fanden sich Aktivist_innen und Betroffene im Project Shelter zusammen. Ein selbstorganisiertes Zentrum für Geflüchtete und Migrant_innen aufzubauen, ist im von Verdrängung geprägten Frankfurt um einiges schwieriger als in Göttingen. Bisher wurde die Nutzung eines Hauses durch sofortige Räumungen verhindert. Ein ähnliches Bild in Berlin: Dort gab es mehrere Versuche, Häuser für ein Social Center 4 All zu besetzen, die allesamt durch die Polizei geräumt wurden. Sie kündigten an, weitere Versuche unternehmen zu wollen, möchten den Prozess aber gleichzeitig offener gestalten und mehr Menschen einbinden.
In Hamburg und anderen Städten gibt es ähnliche Initiativen. In Köln ist seit Mitte Dezember ein Haus besetzt, in dem Wohnraum für Geflüchtete, Studierende und Einkommensschwache geschaffen werden soll. Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg oder das Bellevue de Monaco in München sind weitere offene Zentren, die soziale Angebote und Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen.In Dresden eröffnete im Dezember das Internationalistische Zentrum. Es geht hier vorrangig um die Vernetzung zwischen Geflüchteten, Kurd_innen und der lokalen radikalen Linken. Die Initiative ist bisher in den Räumlichkeiten eines linken Wohnprojektes integriert, fordert aber auf lange Sicht ein eigenes Objekt. Am 5. Januar kam es auch in Halle (Saale) zur Besetzung eines leer stehenden Objekts. Erste Verhandlungen mit dem Eigentümer verliefen positiv.Die Initiative in Leipzig ging ähnlich wie in Berlin von Gruppen des linken Spektrums aus, die zunächst in geschlossenen Treffen über ihre Vision diskutierten. Als erste öffentliche Aktion initiierte das Leipziger Bündnis im Oktober einen offenen Utopiaworkshop vor dem Leipziger Rathaus. Die Idee verselbstständigte sich. Während des fünften Workshops am 16. Dezember wurden spontan leer stehende Räume der Universität Leipzig besetzt. Die symbolische 24-stündige Besetzung war ein Erfolg, weil sie gezeigt hat, dass Besetzungen und Selbstorganisation möglich sind.
Die Utopiaworkshops sind mittlerweile Kern des Projekts. Weiterhin soll versucht werden, heterogene Gruppen von Menschen einzubinden. Im Vergleich zu westdeutschen Städten und Berlin steckt die Verbindung zwischen den Kämpfen Geflüchteter mit der mehrheitlich weißen linken Bewegung hier noch in den Kinderschuhen.
Vom Utopiaworkshop zum Social Center
Die bundesweiten Initiativen bieten viele Chancen für linksradikale Politik. Mit der Einbindung und Zusammenarbeit marginalisierten Gruppen entstehen Möglichkeiten, die eigene Nischenposition aufzubrechen. Das Konzept ist für viele Menschen naheliegend, die Idee politisiert und Menschen können ungeachtet ihrer politischen Vorerfahrungen leicht eingebunden werden. In einem Social Center können alle Beteiligten Organisierungserfahrungen sammeln.
In Anbetracht der menschenunwürdigen Unterbringung Geflüchteter in Turnhallen und Zeltstädten sind Besetzungen nicht nur aus linker Sicht ein legitimes Mittel. Im Social Center 4 All können Kämpfe vereint und auch die eigene Betroffenheit wieder zum Thema gemacht werden. Ein im Alltag vieler Menschen verankerter gemeinsamer Raum kann Grundlage dafür sein, die Kritik an der Asylpolitik mit der zunehmenden Prekarisierung vieler Menschen zu verbinden.
Nora Claussen und Jonathan Sommer sind aktiv in der Leipziger Initiative Social Center 4 All und organisiert bei Prisma − Interventionistische Linke Leipzig.
Quelle: ak Nr. 612 vom 19. Januar 2016