Dieses Papier ist das vorläufige Ergebnis einer mehrjährigen Diskussion, in der sich die Interventionistische Linke über die nächsten Schritte im Organisierungsprozess verständigt hat. Ursprünglich wollten wir ein viel längeres Papier veröffentlichen. Die politischen Positionen sollten ausführlich dargelegt und begründet, unsere aktivistische Praxis in den wichtigsten Arbeitsfeldern grundsätzlich strategisch bestimmt werden. Irgendwann haben wir gemerkt, dass dieser Anspruch für den Augenblick zu hoch ist, und uns entschieden, einen Zwischenstand aufzuschreiben.
Das erschien uns auch deshalb passend, weil es in einer lebendigen, sich entwickelnden Organisation ohnehin keine abgeschlossenen und in Stein gemeißelten Grundsätze geben sollte. Insofern ist die Bezeichnung »Zwischenstandspapier« auch eine programmatische Aussage. Sie soll uns auch vor Selbstüberschätzung bewahren. Wir wissen, dass es klügere Analysen und schwungvollere Aufrufe gibt. So manche konkreten Aussagen werden schon bald von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt sein, und die Strukturen werden sich mit den Anforderungen und den gemeinsamen Erfahrungen verändern.
Nach vielen Entwürfen, nach zahllosen Diskussionen in Arbeitsgruppen, in den IL-Gruppen und auf Klausurtagungen, haben wir dieses Papier schließlich auf einem Gesamtreffen am 11. Oktober 2014 gemeinsam beschlossen. Wir haben zuvor um Positionen gerungen, manche mussten Kompromisse eingehen und längst nicht alle sind mit allen Aussagen und Textpassagen glücklich. Dennoch – und darin liegt die besondere Qualität dieses Textes – haben wir eine strategische Verabredung und eine gemeinsame Aufgabenbestimmung getroffen, die von einigen Hundert Aktivist_innen in etwas mehr als zwanzig Gruppen in Deutschland und Österreich sowie einigen angeschlossenen Projekten getragen wird.
Neben einem Dokument der Selbstverständigung will das Zwischenstandspapier vor allem eine Einladung sein: zur Debatte, zur Aktion, zur Organisierung und zur gemeinsamen Veränderung der Welt. Sie braucht es.
Von außen wird die Interventionistische Linke (IL) vor allem als ein bundesweiter Zusammenhang linksradikaler Gruppen und Aktivist_innen wahrgenommen, der die Fähigkeit zu mobilisieren und zu organisieren in bundesweiten1 Kampagnen wie Block G8, Dresden Nazifrei, Block NATO, Castor Schottern oder zuletzt Blockupy unter Beweis gestellt hat. Wir sind bekannt dafür, auf die radikalisierende Wirkung von Widerständigkeit und Selbstermächtigung durch kollektiv organisierte ungehorsame Massenaktionen zu setzen.
Angetrieben und zusammengehalten wird das Projekt der Interventionistischen Linken jedoch von einer gemeinsamen strategischen Verabredung, die im namensgebenden Begriff der Intervention deutlich wird: Wir wollen eine radikale Linke, die selbstbewusst und sprechfähig in politische Kämpfe eingreift und fähig ist, auch außerhalb ihrer Subkulturen, Kieze und Freiräume zu agieren. Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv gegen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung und Diskriminierung orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, radikale gesellschaftliche Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert.
Mit dieser strategischen Verabredung haben sich 1999, als nach der misslungenen linksradikalen Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Köln die bundesweite Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der radikalen Linken in Deutschland auf einem Tiefpunkt war, zunächst einzelne Genoss_innen im sogenannten Beratungstreffen zusammengefunden und sich dort über ihre Aktivitäten in verschiedenen Organisationen und Bewegungen strategisch ausgetauscht. Mit diesem Beratungstreffen beginnt die erste Phase der Interventionistischen Linken, auch wenn wir diesen Namen erst einige Jahre später erstmals benutzt haben. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksradikale Gruppen geöffnet. Damit begann die zweite Phase der IL, die in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 erstmals in der Praxis erleb- und wahrnehmbar wurde.
Noch immer auf der Grundlage der strategischen Verabredung, eine radikale gesellschaftliche Linke herauszubilden, führen wir seit 2010 eine intensive Organisierungsdebatte. Wir loten darin aus, wie eine neue, verbindlichere Organisationsstruktur der IL entstehen kann, die lokale und bundesweite Praxis stärker integriert. Sie soll unsere Handlungsfähigkeit und unsere Sichtbarkeit erhöhen. Zudem sollen strategische Debatten verbreitert und intensiviert werden. Im weiteren Prozess wollen wir uns gemeinsame inhaltliche Positionen erarbeiten und mehr Aktivist_innen eine aktive Teilnahme ermöglichen.
Nun haben es Organisierungsdebatten an sich, manchmal schwierig und zäh zu sein. Unterschiedliche politische Traditionen und Erfahrungshintergründe treffen aufeinander. Strukturen müssen gleichermaßen auf Partizipation und Transparenz ausgerichtet sein wie auf Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Gemeinsame strategische Bestimmungen müssen abgewogen werden mit lokaler Autonomie. Die notwendigen Funktions- und Arbeitsteilungen in einer größeren, bundesweiten Struktur müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Anforderungen eines basisdemokratischen Anspruchs. Unvermeidlich ist eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen informeller Hierarchien und Ausschlüssen, die z. B. auf Geschlechtszuordnungen und -rollen, aber auch auf Informations-, Bildungs- und Herkunftsunterschieden beruhen können.
Mit all diesen Diskussionen sind wir noch längst nicht fertig – und werden es wohl auch nie sein. Unsere Antworten und Ergebnisse sind in diesem Sinne vorläufig. Dennoch halten wir jetzt den Zeitpunkt für gekommen, einen Zwischenstand zu veröffentlichen. Wir tun dies in einer doppelten Absicht: Einerseits wollen wir uns selbst Rechenschaft über den Stand unserer Diskussion, über unsere Gemeinsamkeiten und Ansprüche ablegen. Andererseits soll dieser Zwischenstand auch eine offene Einladung an alle Interessierten sein, die genau wie wir nach einer strategischen Basis für ihren Aktivismus suchen. Es ist eine Einladung an alle, die sich mit Lust und Ernsthaftigkeit auf einen kollektiven, organisierenden und radikalen Prozess einlassen wollen, mit dem Ziel die Marginalisierung und Machtlosigkeit der Linken zu überwinden.