Warum gerade Dresden?
In der Bundesrepublik waren es vor allem Faschisten und Revanchisten, insbesondere der Vertriebenenverbände, die an die offiziellen Propagandalügen des Göbbels'schen Ministeriums, in denen von mehreren hunderttausend Toten die Rede war, anknüpften. Schon in der jungen BRD wurde die Bombardierung zur Relativierung der deutschen Kriegsschuld und zum Aufbau eines deutschen Opferbildes benutzt. Die ewig wiederkehrenden Lügen der Revisionisten fanden offene Ohren und konnten sich beinahe ungehindert in großen Teilen der westdeutschen Gesellschaft festsetzen. Nach 1989 blieb das verbreitete Bild der "verbrecherischen" Bombardierung mit hunderttausenden Toten zunächst unangegriffen.
Selbst in der DDR, in der die Entnazifizierung wesentlich mehr war als eine handvoll Urteile, wo Antifaschismus ein Begriff war, zu dem breite Teile der Bevölkerung einen positiven Bezug hatten, war die Ausdeutung der Angriffe auf Dresden strittig und von Staatsräson gezeichnet. Hatte der erste Nachkriegsbürgermeister Dresdens, Walter Waldauer, noch von einer vermeidbaren, aber von deutschen Faschisten provozierten Katastrophe gesprochen, erfolgte in der offiziellen DDR-Politik schon bald ein radikaler Schwenk: Die Bombardierung wurde als Verbrechen der Westalliierten gedeutet, deren Ziel es gewesen sei, der UdSSR und der späteren DDR nur zerstörte Städte zu hinterlassen. Auch die dort viele Jahrzehnte stets wiederholten Opferzahlen waren aus der Luft gegriffen.
Auf seiner Suche nach "Normalität" hat sich das wiedervereinte Deutschland schließlich auch als Opfer entdeckt. Da der Nationalsozialismus ja heute mehr als bewältigt sei, müsse auf der einen Seite ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen und die "alte Last" abgeschüttelt werden. Auf der anderen Seite soll damit aber gleichzeitig der Zeitpunkt gekommen sein, an dem - ohne Schuldgefühle - um die eigenen Toten getrauert werden könne. Mehr noch: Die Betonung der eigenen Opfer dient einem Geschichtsbild, bei dem in einem âeuropäischen Zeitalter des Grauens" auf allen Seiten in derselben Art und Weise Opfer zu beklagen seien. Der historische Kontext verschwindet, Ursache und Wirkung werden verwischt, heraus kommt eine Erinnerungskultur wie sie z.B. dem Zentrum gegen Vertreibung vorschwebt - und die "Normalität" ist wiederhergestellt.
Ab 1998 geriet der Jahrestag der Bombardierung Dresdens in das Blickfeld organisierter Neonazis. Deren wichtigste Erfahrung in den ersten Jahren war die Duldung ihres organisierten Auftretens im öffentlichen Raum - dies war neu und gab den Nazis gehörigen Auftrieb. Die bürgerliche Gesellschaft versagte zuerst mehrere Jahre lang bei der Abgrenzung der eigenen Trauer von den Verbrechen der Nazis. So über die Jahre ermutigt und trotz interner Hoheitsfragen zu der Art des Gedenkens stieg die Beteiligung von 200 Nazis 1999 bis auf ein Höchstmaß von ca. 6.000 Teilnehmenden im Jahr 2005.
Im Vorfeld des 60. Jahrestages der Bombardierung Dresdens wurde der Umgang mit dem immer größer werdenden Naziaufmarsch auch in der Öffentlichkeit intensiver diskutiert. Dabei wurde deutlich, wie stark das bürgerliche Bild des Geschehens von nazistischen und revanchistischen Vorgaben geprägt war. Als Konsequenz daraus beauftragte die Stadt Dresden eine HistorikerInnenkommission mit der Überprüfung der bekannten Quellen und weiteren Nachforschungen bezüglich der Opferzahlen. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die Gesamtzahl der Getöteten zwischen 20.000 und 35.000 liegt - also deutlich niedriger ist, als in der Vergangenheit stets propagiert.
Parallel zur Arbeit der HistorikerInnen wurde die Diskussion über den Umgang mit dem Jahrestag in Dresden fortgesetzt. In der Folge distanzierten sich die Stadt und zahlreiche bürgerliche Initiativen erstmals inhaltlich von der Relativierung der deutschen Kriegsverbrechen. Danach stieg die Beteiligung an den bürgerlichen Demonstrationen und Kundgebungen ebenfalls auf bis zuletzt gut 2.000 Menschen. Gut auch, dass in den letzten Jahren direktes antifaschistisches Eingreifen mit z.B. Strassen- und Brückenblockaden erste Erfolge zeigte und die Route der Nazis immerhin schon mal verkürzt werden musste.
Lasst uns in Frieden mit eurem Krieg - oder immer neue Märchen
Die militärische Zerschlagung des deutschen Faschismus war für alle Menschen, die weltweit unter seinem Joch lebten und litten unbestritten und unzweifelhaft ein Tag der Befreiung. Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass gerade für die Westalliierten eben auch weltpolitische und geostrategische Überlegungen eine Rolle im eigenen Vorgehen spielten. Für sich allein genommen wäre der Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung Europas, ihr aggressiver und mörderischer Rassismus und Anti-Slawismus, die Blut-und-Boden-Ideologie, das arische Herrenmenschentum und die absolute Verwertung jeden Lebens wohl nicht zum Invasions- und Angriffsgrund geworden - die territoriale Expansion des Deutschen Reiches und die damit verbundenen militärischen Überfälle auf Großbritannien und (fast) alle Nachbarstaaten und deren Besetzung schon. Einen unreflektierten positiven Bezug auf die Kriegsführung insbesondere der Westalliierten halten wir daher für unangebracht. Die Bezugspunkte eines radikalen linken Antifaschismus sind andere: Die internationalen Lagerkomitees in den Konzentrationslagern, die international kämpfenden PartisanInnen in Griechenland, Jugoslawien , der Sowjetunion, ..., die Internationalen Brigaden, jüdische Kampforganisationen, rebellische Jugendliche wie den Edelweißpiraten sowie der Widerstand gegen Nazideutschland [z.B. Rote Kapelle], der auf gesellschaftliche Befreiung zielte. Und damit meinen wir eben nicht die in der heutigen Bundesrepublik hochgehaltenen rechten Militärs um einen Herrn von Stauffenberg.
Und so wird in manchem Redebeitrag während antifaschistischer Demonstrationen, in einigen Aufrufen, in Parolen oder durch das Schwenken britischer, französischer, amerikanischer oder kanadischer Fahnen ein alter Trugschluss ausgedrückt: der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Die Kräfteverhältnisse und damit die eigene defensive und desolate Situation heute wie damals aber zu ignorieren und sich als Verbündete der mächtigen Militärapparate zu imaginieren, schafft weder ein historisches Bewusstsein noch eine emanzipatorische Perspektive.
Deshalb greifen wir ein
Aufgrund der immensen Bedeutung, die der Großaufmarsch für die Neonaziszene hat, werden wir uns ihm am 14. Februar in Dresden in den Weg zu stellen.
In der Stadt gibt es seit Jahren vielfältigen Widerstand gegen die Vereinnahmung des Gedenkens durch die Nazis. Diese Vielfalt ist für uns Einladung und Anknüpfungspunkt. Manche Gründe und Aktionsformen liegen uns näher als andere. Was uns aber verbindet, ist die Entschlossenheit, den Nazis nicht die Straße zu überlassen. Wir verstehen uns als Teil einer breiten antifaschistischen Bewegung, innerhalb derer die Antriebe und Praktiken verschieden sind. In diese Vielfalt wollen wir uns einfügen und sie uns zu Nutze machen, da auch an diesem Tag eine interventionistische und radikale linke Perspektive verteidigt und gestärkt werden kann und muss. Die Blockade des G8-Gipfels in Heiligendamm im Sommer 2007 und die Verhinderung des Rassistenkongresses in Köln im Herbst 2008 haben deutlich gezeigt, dass spektrenübergreifend koordinierte und entwickelte Aktionen nicht nur punktuell erfolgreich sein können, sondern auch eine radikalisierende Dynamik entwickeln. Dies gilt natürlich nicht nur für solche Großereignisse. Auch in kleineren Initiativen und bei lokalen Aktionen machen wir ähnliche Erfahrungen. In dieser Tradition, die aus dem zivilen Ungehorsam ebenso schöpft, wie aus der antifaschistischen Selbsthilfe, sehen wir uns und unsere Pläne für Dresden. Um den Nazis wirkungsvoll entgegenzutreten, sie effektiv zu behindern und den Naziaufmarsch perspektivisch unmöglich zu machen, rufen wir auf:
Kommt alle nach Dresden und beteiligt euch an der Demonstration und den Aktionen!
14. Februar 2009 | 11 Uhr | Hauptbahnhof Dresden
Interventionistische Linke (IL)