Seit ein paar Wochen ist die arranca #51 draußen, "Return to Castle Wolfenstein? Strategien gegen Rechts." Nun arbeiten wir an der arranca #52 zum Thema Sex. Dafür brauchen wir eure Beiträge.
Bitte meldet euch bis zum 9. August mit euren Ideen. Die fertigen Artikel müssen dann bis zum 13. September da sein.
Nach 21 Jahren haben wir mal wieder Lust auf Sex. Im April 1996 erschien mit Nummer 8 die erste «Sexausgabe» der arranca! und sorgte prompt für hitzige Debatten – inklusive Boykottaufruf und allem Pipapo – die bis jetzt nachhallen. Auch wenn wir glauben, dass die Debatte heute anders ausfallen wird, gilt nach wie vor: Sexualität ist ein politisches Thema. Unsere Sexualitäten sind Kampffeld von Befreiungsidealen, Moralvorstellungen, Klassen- und Gruppenzugehörigkeiten, Unterdrückungs- und Diskriminierungsmechanismen und nicht zuletzt Bevölkerungspolitiken. Sexualität ist ein Identifikationsraum und Ort diverser Ausgrenzungen, und für Minderheitenpositionen Ausgangspunkt vielfältiger Subkulturen. Last but not least ist Sexualität eng verflochten mit einer Geschichte von Gewalt und Missbrauch. Sexualität hat eine Menge mit Kapitalismus zu tun: als eine Ökonomie, in ihrer Ökonomisierung oder als eine Triebkraft von Ökonomie. Dabei ist Sexualität für die Post-68er-Linke oft mit einem Tabu versehen – wird doch eher nicht politisch, sondern privat, meist in (Zweier-)Beziehungen und zuhause verortet. Geht auch anders.
Was wir heute an Ausgestaltungen von Sexualität erleben können, führen wir meist auf die sexuelle Revolution der 68er zurück. Im Vergleich ist jedoch festzustellen: Die ‹goldene Zeit› der sexuellen Revolution ist heute. Die sexpositiven Debatten einer progressiven Minderheit waren damals gerahmt vom reaktionär-konservativen Mainstream der 1950/-60er Jahre und somit radikal gegen diesen aufgestellt. Vieles davon ist heute jedoch im Mainstream angekommen und so muss sich die konservative Rechte nun im sexuellen Diskurs gegen diesen Mainstream stellen. Die Möglichkeiten und Selbstverständlichkeiten sexueller Freizügigkeit in urbanen Milieus sind vielfältig. Auch wenn es jenseits dieser Milieus eher bescheiden aussieht, sind auch hier Verschiebungen zu beobachten. Dazu verschafft das Internet abweichenden Positionen Stärke, versorgt und vernetzt Menschen, die plötzlich mit ihren Begehren nicht mehr allein sind, bietet aber auch Gelegenheit, durch diese Begehren neue Märkte zu erschließen. Das Selbst ist politisch, wo es die Kraft besitzt die umgebenden Normen zu verändern – und wird gleichzeitig biopolitisch vereinnahmt.
Es scheint, als sei Sexualität in weiten Teilen der Linken kein wichtiges Aktionsfeld. Auch wenn wir Auseinandersetzungen individuell verfolgen und uns dazu verhalten, greifen wir das Thema nur selten zur gemeinsam politischen Diskussion auf. Vielmehr stolpern wir gelegentlich übereinander, sei es auf Datingportalen, in Subkulturen, auf Sexparties oder auch nur an den Ecken von Diskursen, die Alternativen zum ‹wie bisher› ausloten. Wir beziehen also Position, oft aber nicht als interventionistische Strategie, sondern individuell, lebenspraktisch. Aus unserer politischen Praxis sind allerdings auch Ansatzpunkte zu nennen: Zum Beispiel engagiert sich die Interventionistische Linke (IL) im What the fuck-Bündnis gegen einen gesellschaftlichen Rollback in Fragen sexueller Selbstbestimmung, wie von einer reaktionär-christlichen, partiell faschistischen Melange forciert. Außerdem ist die IL an der Plattform Feminism Unlimited beteiligt, die sich gründete, um nach den sexuellen Übergriffen an Silvester 2015 und der rassistischen Zuordnung von Sexismus auf Männer mit Migrationshintergrund sowohl gegen Rassismus als auch gegen Sexismus vorzugehen. Und weil wir Teil der Verhältnisse sind, die wir bekämpfen, diskutieren wir auch IL-intern einen Leitfaden zum Umgang mit sexualisierter Gewalt.
Mit Euch wollen wir die gemeinsame politische Debatte wieder aufnehmen, und dabei erkunden, wo Interventionsmöglichkeiten auf dem Feld der Sexualität liegen können. Es geht uns darum, Scheu abzubauen und ‹abseitige› Sexualitäten aussprechbar zu machen. Es kommt uns darauf an, Sexualität jenseits des Heteronormativen (aber auch dort) zu denken, feministische sexpositive Perspektiven und antiableistische sowie PoC-Perspektiven zu ermöglichen.
Lässt sich unsere Geschlechtersozialisation verlernen? Haben unsere Eltern und Großeltern eigentlich auch Sex? Wie? Wie funktionieren Gegenerzählungen zum pornografischen Mainstream und was macht sie emanzipatorisch? Wie verändert sich das Sprechen über Sex, wenn wir eher über sexuelle Identitäten sprechen? Auf welche Art diversifizieren sich auch heterosexuelle Identitäten? Destabilisieren Rollenspiele Geschlechterbilder auch außerhalb des Spiels? Sind Löcher auch nicht-defizitär und aktiv zu denken? Gibt es eine neue Wahrnehmung der Vulva? Ach ja, und was ist eigentlich pervers, und wie subversiv kann das noch sein?
Sind die neuen sexuellen und beziehungsmäßigen Freiräume und ihre spezifischen Ausformungen ohne neoliberalen Kontext denkbar? In welchem Verhältnis stehen Krise und Sex? Wo liegt die Grenze zwischen Selbstermächtigung und Inwertsetzung beim Online-Dating? Sind tindern, grindern und Co. die Sharingökonomie der Sexarbeit? Wie kann eine differenzierte Position zu Sexarbeit aussehen? Wie stehen Erfüllung durch Sex und durch Arbeit zueinander? Und wo ist die Liebe?
All diese Fragen kreisen in unseren Köpfen – und in euren sicher noch viele mehr. Deshalb freuen wir uns über konkrete, strategische, experimentelle wie utopische Antworten. Wir freuen uns besonders über Vorschläge/Artikel von Leuten, die sich nicht in einem weißen cis-männlichen Spektrum verorten. Wie immer möchten wir keine theoretischen Spitzenwerte erreichen, sondern zur Vergesellschaftung von (Handlungs-)Wissen beitragen. Auch Texte jenseits des Schwerpunktes sind willkommen. Wir bitten euch, uns eure Vorschläge bis zum 9.8.17 zu schicken – eine kurze Beschreibung genügt. Der Redaktionsschluss für fertige Artikel ist dann am 13.9.17.
Eure arranca!-Redaktion, Juli 2017