Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags geht seinem Ende entgegen. Nach der Sommerpause wird der Abschlussbericht erstellt und die Ergebnisse der letzten Jahre präsentiert. Bereits seit Beginn des ersten Untersuchungsausschusses im November 2014 beobachtet ihr dessen Arbeit. Welche neuen Erkenntnisse konnten die Abgeordneten in dieser Zeit zu Tage tragen, die nicht bereits im Prozess in München oder in anderen Untersuchungsausschüssen gewonnen wurden?
NSU Watch BaWü: Zum Mord auf der Heilbronner Theresienwiese und den Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg gab es in den letzten dreieinhalb Jahren kaum wirklich Neues zu berichten. Das liegt auch daran, dass die Ausschüsse in BaWü zu spät eingesetzt wurden. Viele Erkenntnisse lagen da schon aus dem ersten Bundestags-Ausschuss und dem Prozess am OLG München oder durch die Arbeit von Journalist*innen vor. Nur ganz punktuell sind die BaWü-Ausschüsse bisher über diese Erkenntnisse hinausgekommen. Zum Beispiel ist jetzt klar, dass es keine amerikanische Geheimdienst-Observation von Islamisten in Heilbronn gegeben hat, die irgendwas mit dem Mord an Michèle Kiesewetter zu tun hatte. Was die NSU-Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Heilbronn machten und ob es weitere Helfer gab, liegt aber weiterhin völlig im Dunkeln.
Ihr habt gerade die Geschichte mit den Islamisten und den US-Geheimdiensten erwähnt. Wenn man die Aufklärung rund um den Mord auf der Theresienwiese am 25. April 2007 zeitweise in den Medien verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass da „höhere Mächte“ ihre Hände im Spiel hatten. Es ist auch immer wieder vom „Zeugensterben“ zu hören. Was ist eure Einschätzung zu diesen Erklärungsversuchen?
NSU Watch BaWü: Wie gesagt, es gibt nach der Beweisaufnahme der beiden Ausschüsse und nach allem, was wir mitbekommen, keine belastbaren Hinweise darauf, dass sich in Heilbronn irgendetwas mit Islamisten oder dem FBI abgespielt hat. Verfolgt werden diese Theorien noch von der AfD. Die würde natürlich gerne politischen Profit aus der Sache schlagen und die Auseinandersetzung mit rechtem Terror und Nazi-Strukturen abwürgen. Ähnlich ist es ein bisschen mit dem angeblichen „Zeugensterben“. Dahinter steht am Ende die Vorstellung, dass eine ordnende Hand im Hintergrund Zeugen beseitigt. Dafür gibt es aber überhaupt keine Hinweise. Unserer Meinung nach hat es da in der Berichterstattung eine fatale Eigendynamik gegeben - vor allem im Internet und leider teilweise auch in linken Kreisen. Der NSU-Komplex ist natürlich sehr schwer zu überblicken. Von vielen Theorien aus dem Internet bleibt nicht viel übrig, wenn sie im Detail überprüft werden.
Dann kommen wir mal wieder zurück zum Kern der NSU-Aufklärung in Baden-Würtemberg. Gibt es konkrete Ergebnisse oder Erklärungsansätze, ob der NSU Unterstützer hier in der Nähe hatte?
NSU Watch BaWü: Im Großen und Ganzen ist der Ausschuss so schlau wie vorher. Bekannt ist, dass vor allem Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in den Neunzigerjahren regelmäßig in Ludwigsburg waren und dort Bekanntschaften in der Naziszene pflegten. Vor dem Untersuchungsausschuss erzählte eine der damaligen Kontaktpersonen, dass Mundlos auch Anfang 2001 noch einmal in Ludwigsburg gewesen sei. Was er dort machte, wissen wir bis heute nicht. Enge Freunde des NSU-Kerntrios waren außerdem Anfang der Neunziger in Heilbronn und haben dort auch an einer Party des Heilbronner Steuerberaters und Neonazis Michael Dangel teilgenommen. Verbindungen gibt es auch über Mitglieder des Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“, die seit Beginn der 2000er Jahre in der Region zwischen Stuttgart und Heilbronn wohnten oder wohnen. Einer der letzteren ist auch Beschuldigter in einem NSU-Ermittlungsverfahren. Das sind schon auffällig viele Bezüge in die Region Heilbronn. Letztlich ist aber weiterhin unklar, ob es im Südwesten Unterstützer gegeben hat. Viele der damals beteiligten Neonazis, die im Landtag als Zeug*innen aussagen mussten, haben offensichtlich gelogen oder Fragen abgeblockt und ihre eigene Rolle in der Szene verharmlost. Insgesamt gehen wir auch im Kontext dessen, was aus anderen Bundesländern bekannt ist, von einem Netzwerk und nicht von einem „Trio“ aus.
Es wurde im Zusammenhang mit der NSU-Aufklärung auch viel über strukturellen Rassismus gesprochen. Welche Beobachtungen konntet ihr dazu im UA machen? Wurde dieses Problem –gerade in Bezug auf die Polizeibeamten, die im Ku-Klux-Klan waren - als solches in den Befragungen thematisiert?
NSU Watch BaWü: Der strukturelle Rassismus deutscher Behörden war im Ausschuss kaum ein Thema. Insbesondere die umfangreichen Ermittlungen gegen Sinti und Roma, die zufällig am Tatort in Heilbronn waren, wurden weitgehend ausgeblendet. Polizisten erklärten im Ausschuss, Begriffe wie „Zigeuner“ und „Neger“ seien nur deshalb in den Akten zum Kiesewetter-Mord zu finden, weil Zeug*innen diese Wörter benutzt hätten. Damit kamen sie bei den Abgeordneten durch. Es fehlte aber auch eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung damit, die Druck hätte erzeugen können. Anders würden wir das Thema „Polizisten im Ku-Klux-Klan“ einschätzen. Hier gab es eine deutliche Verurteilung seitens des Ausschusses. Gerade die Tatsache, dass zwei ehemalige KKK-Mitglieder bis heute als Polizeibeamte in Baden-Württemberg im Einsatz sind und für ihre Aktivität in einem rassistischen Geheimbund nur „gerügt“ wurden, führte zu Kritik an der Polizeiführung. Der Ausschuss hat auch versucht herauszufinden, wie viele weitere Polizisten mit dem KKK zu tun hatten. Bei zwei Polizisten und einer Polizistin ist es sicher.
Mit dem Abschluss des zweiten UA endet die offizielle Aufklärung in Baden-Württemberg. Ist das Thema für Euch damit abgeschlossen oder seht ihr noch offene Fragen?
NSU Watch BaWü: Offene Fragen sehen wir genug. Vor allem im Bezug auf die Netzwerke der Nazis über Ländergrenzen hinweg und die Rolle von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Es gibt definitiv Leute, die am Ball bleiben, auch ohne Landtagsausschuss. Die gab es ja auch schon vor den Ausschüssen. Trotzdem geht sicher eine gewisse Phase der Aufklärung zu Ende. Notwendig wäre es auch, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex in die Gegenwart mitzunehmen. Vom NSU wissen wir jetzt seit mehr als sechs Jahren. Der Kiesewetter-Mord ist 11 Jahre her. Vor über zwanzig Jahren ist das Kerntrio abgetaucht. Militante Nazistrukturen und rechter Terror sind aber keine Themen aus der Vergangenheit, sondern etwas, mit dem wir auch in der Zukunft rechnen müssen – gerade in Zeiten von Anschlägen gegen Geflüchtete und einem neuen rechten Selbstbewusstsein.
Das Interview erschien zuerst in unserer Zeitung "dazwischengehen", die hier zum Download bereit steht.