Wir haben zu diesem Ratschlag eingeladen mit dem Motto „Die K-Frage stellen“. K steht für Krise, aber auch für Klima, für Kapitalismus, Krieg, für Kämpfe und für das kommunistische Danach.
Die Frage nach diesen Ks ist für uns alle wohl nicht neu. Aber die Situation, in der wir sie stellen, hat sich in den letzten Monaten rapide verändert. Was das genau heißt, welches die Auswirkungen der globalen Krise sind, die wir jetzt schon beobachten können und welche noch auf uns zukommen, ist ein Thema des heutigen Tages. Aber wir wollen nicht bei der Analyse der Ursachen und Folgen kapitalistischer Krisenhaftigkeit stehen bleiben. Unser Anliegen ist es, unsere politischen Praxen zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Beziehung zu setzen und neue Kämpfe vorzubereiten.
Wozu ist das so wichtig? Auch wenn die westlichen Regierungen sehr stark um ein Eindämmen der Krise bemüht sind, so ist doch bisher unklar, wohin die Reise geht. Auf der ideologischen Ebene ist es bisher keinesfalls ausgemacht, inwiefern der Kapitalismus seine Form ändern muss, damit er weiterhin zentrale Wirtschaftsform bleibt und als freies Glücksversprechen ideologisch hochgehalten wird. Auch die Frage, wie stark die finanziellen Verluste sozialisiert werden, wird ein umkämpftes Feld. Je mehr Klassenkampf, desto bessere Chancen bestehen, die Krise nicht „nur“ auf die Unter- und Mittelschicht abzuwälzen. Daraus ergeben sich zwei Aufgaben für die Linke:
Erstens, entlang des Komplexes Weltwirtschaftskrise und seinen lokalen, nationalen und globalen Auswirkungen in soziale Auseinandersetzungen zu intervenieren und neue soziale Kämpfe zu organisieren und vorzubereiten. Praktisch und Ideologisch. Denn unsere zweite große Aufgabe ist es jetzt, antikapitalistische Alternativen in die Debatten einzubringen und zu versuchen, überall wo möglich, Menschen um eine linke, emanzipatorische Antwort auf die Krise herum zu organisieren.
Dabei kommt es uns darauf an, einen Austausch zwischen verschiedenen Bewegungen und Spektren herzustellen. Dieser Austausch wird sich schwierig gestalten. Auch wenn sich viele Bündnispartner seit Jahren kennen, so ist doch unsere bisherige gemeinsame Geschäftsgrundlage in den sozialen Kämpfen abhanden gekommen. Der Gipfelsturm gegen den Neoliberalismus hat sich überlebt, da der Neoliberalismus nun anscheinend von selbst an die Wand gefahren ist. Und auch der Kampf gegen Agenda 2010 und Hartz IV hat bisher keine neue Sozialprotestbewegung aus der Taufe heben können. Deshalb bedarf es einer neuen Gemeinsamkeit, eines neuen, konkreten Kampffeldes in dem sich die Linke vereint. Dieses Feld ist bisher noch unscharf umrissen. Blickt man zurück auf unsere Diskussionen des vergangenen Jahres, wird es wohl die soziale Frage in Verbindung mit der Klimakrise sein.
In einer ersten Podiumsrunde werden in diesem Sinne eines spektrenübergreifenden Austauschs ...aus ihrer Perspektive Schlussfolgerungen aus der Krise ziehen.
Im zweiten Teil des heutigen Programms geht es dann in Workshops um die Deutung der Krise und die strategische Diskussion unserer gemeinsamen Politik. Wie können wir das Prinzip der Intervention in den kommenden Auseinandersetzungen in die Tat umsetzen? Auch das ist eine Frage, die nicht neu ist. Aber sie ist jetzt dringlicher denn je. Dringlicher, weil das weltweite Elend wohl erstmal nicht kleiner, sondern größer wird. Weil doch einiges darauf hinweist, dass die sozialen Auseinandersetzung sich in Zukunft verschärfen und zuspitzen werden. Es geht, wie auch in der Einladung zu dem heutigen Ratschlag zu lesen ist, nicht darum, die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus zu verleugnen und sich realitätsfremden Revolutionsträumereien hinzugeben. Aber es geht darum, unser Anliegen in die Kämpfe einzubringen – das Anliegen einer befreiten Gesellschaft für alle weltweit. Diese Systemfrage ist in Zeiten nicht nur einer wirtschaftlichen sondern auch einer politischen Krise des Neoliberalismus plötzlich wieder aussprechbar. Dass das Kapital beim Dietz-Verlag zur Zeit restlos vergriffen ist, mag ein Indiz dafür sein.
In den letzten Wochen gab es vermehrt Debatten darum, inwiefern die Krise auf inhärent ökonomischen Gründen basiert oder doch mehr ein Ergebnis von Aneignungspraxen und Klassenkämpfen ist.
Die Herkunft der Krise ist auch innerhalb der IL nicht unumstritten. Aber ob man nun die Krise – um es polarisierend auszudrücken - als Produkt der Überakkumulation und der Verwertungskrise des Kapitals deutet oder als Folge der sozialen Kämpfe der letzten Jahrzehnte: Kaum jemand in unserer Runde wird der Behauptung widersprechen wollen, dass wir es im Laufe des nächsten Jahres im Zuge der immer noch drohenden Bankencrashs und Massenentlassungen mit großen Konflikten zu tun bekommen, dass der sogenannte soziale Friede in Deutschland brüchiger wird. Das bedeutet nicht, dass wir die analytische Diskussion um die Ursachen der Krise einfach beiseite lassen können. Aber wir müssen uns nicht für dein einen oder anderen Erklärungsansatz entscheiden, um das Projekt einer gemeinsamen interventionistischen Politik in Angriff zu nehmen.
Wir haben ein deutliches Plädoyer für diese unsere Rolle mitgebracht:
Erstens müssen wir lokale linke Bündnisse (wieder)gründen und (soziale) Kämpfe darum führen, dass die Kosten der Krise nicht auf uns, auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.
Zweitens müssen wir eine Linke formieren, die nicht nur gegen die kapitalistischen Krisenerscheinungen kämpft, sondern einen Weg aufzeigt, den Kapitalismus zu überwinden.
Drittens müssen wir als bundesweit organisierte Zusammenhänge unseren Teil dazu beitragen, dass die einzelnen im Zuge der Krise ausbrechenden Konflikte vernetzt und zu einander in Beziehung gesetzt werden. Wir müssen die Isolation durchbrechen, die die auch jetzt bereits immer wieder stattfindenden Kämpfe in den Betrieben, in den Wohnvierteln und den Flüchtlingsunterkünften lähmt.
Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass etwa gleichzeitig wenige Dutzend Kilometer von einander entfernt zwei Streiks stattfinden, die nicht zu einander in Beziehung gesetzt werden, nur weil die bestreikten Branchen nicht den selben DGB-Gewerkschaften zugeschlagen werden. Nicht nur „allein machen sie Dich ein.“ Das selbe gilt auch noch „für Hundert oder Tausend“, wenn sie nicht in der Lage sind, sich mit Menschen jenseits der Grenzen der Standortlogik zusammenzuschließen.
Erst wenn es uns gelingt, diese aufkeimenden Kämpfe bundesweit zu verbinden und der Sphäre der Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit großer Tarifkommissionen und Gesetzesinitiativen zu entwinden, erst wenn sich das Kapital in seinem operativen Geschäft wieder einer großen Zahl unberechenbarer Arbeiterinnen und Arbeiter gegenüber sieht, die für ihre Rechte zu kämpfen bereit sind, erst dann wird auch die Selbstheilungsfähigkeit des Kapitalismus ins Wanken geraten.
Für die nächsten Monate kristallisiert sich bereits ein Fahrplan heraus, in dessen Rahmen wir erste praktische Schritte einer Politik im Zeichen der Krise gehen werden. Die beiden Großdemonstrationen Ende März, der Kapitalismuskongress von attac, der 1. Mai und nicht zuletzt der Bundestagswahlkampf. Letzterer ist nicht nur wegen der Diskussion darum interessant, auf wen die Kosten der Krise abgewälzt werden.
Jürgen Elsässers „Volksinitiativen“-Mediencoup ist ein weiterer Beweis dafür, dass es dringend erforderlich ist, emanzipatorische Auswege aus der Krise in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen und sich für sie stark zu machen, bevor andere ihre vermeintlichen Lösungen platzieren.
Wir müssen in all unseren Politikfeldern dafür stehen, dass es eben nicht um den Kampf gegen irgendein dubios-diffuses Finanzkapital geht, sondern um die solidarische Umgestaltung der gesamten Bedingungen von Produktion und Reproduktionen, um deren demokratische Kontrolle und daher darum, die Macht des Kapitals jedweder Form zu brechen.Neben den genannten bundesweiten Großereignissen wird der Erfolg unserer Politik mit der lokalen Verankerung stehen oder fallen. Was können wir in Konflikte vor Ort einbringen? Wie können wir die politische Kultur in Richtung mehr Widerständigkeit beeinflussen? Wie unsere Erfahrungen des zivilen Ungehorsams einbringen? Diese Fragen stellen wir jetzt – mal wieder – nur abstrakt in den Raum. Aber es wird heute und in Zukunft darauf ankommen, konkrete Antworten zu finden. Wie sieht es aus mit Massenblockaden vor Großmärkten, wenn der Einzelhandel streikt? Wie können wir vor Ort eine emanzipatorische Perspektive stark machen, ohne als besserwisserische Zaungäste aufzutreten? Wie können wir Bündnisse eingehen, die gemeinsam Politik entwickeln, obwohl die Positionen und Perspektiven und Interessenlagen an vielen Stellen nicht übereinstimmen?
Auch für sozialpolitischen Widerstand ergeben sich mit der Krise und vor allem den staatlichen Reaktionen neue Möglichkeiten. Das allgegenwärtige Argument der leeren Kassen wurde von der Bundesregierung eindrucksvoll widerlegt. Neben den Slogan "Wir zahlen nicht für Eure Krise" sollten also auch Forderungen nach Existenzsicherung, kostenfreiem öffentlichen Personennahverkehr und einigem mehr treten.
Wir sind in einer Situation, in der die Frage danach, wie die Gesellschaft konstituiert ist, wieder eine breitere Bedeutung bekommt. Der Kapitalismus ist eben nicht das Ende der Geschichte. Wir müssen uns jetzt in die gesellschaftliche Debatte einbringen und den Finger in die Wunden legen. Themen wie Vergesellschaftung und eine demokratische Kontrolle von Produktion und Reproduktion gehören jetzt auf die Tagesordnung.
Wir schließen in diesem Sinne mit einem Zitat von Karl-Heinz Roth, der vor kurzem in Hamburg sinngemäße sagte: „Wir wissen nicht was passiert, aber wir wissen, dass es jetzt los geht.“ Wir wünschen uns allen einen erkenntnis- und ergebnisreichen, motivierenden Ratschlag.
Verfasst und vorgetragen von zwei GenossInnen aus ALB und Avanti für die Interventionistische Linke, Frankfurt, 25. Januar 2009