Artikel in der jungen Welt vom 13.04.2016
Von Rocko Allwerth
Es gab große Erwartungen an diese Konferenz, denn die letzte ähnliche Veranstaltung lag bereits über fünf Jahre zurück. Dementsprechend groß war der Andrang: 450 Menschen debattierten am Wochenende in Hannover auf Einladung der »Interventionistischen Linken« (IL) unter dem Motto »Was heißt radikale Politik heute?« Neben den Aktivisten der IL waren auch Gäste aus Griechenland, Italien und Schweden anwesend sowie Gruppen aus Deutschland wie »Lampedusa in Hamburg«, »Ums Ganze« und »YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan«. Nach 15 Jahren, in denen die mittlerweile in 30 Städten vertretene IL in Bündnissen wie »Ende Gelände«, »Dresden Nazifrei« und »Castor? Schottern!« Erfahrungen gesammelt hat, war es an der Zeit, über über die künftige Ausrichtung und Praxis der IL zu diskutieren.
In Workshops und bei Podiumsdiskussionen wurden unter anderem die Kämpfe um die öffentliche Daseinsvorsorge, gegen Rassismus und gegen den Ausbau staatlicher Repression behandelt – aber auch, wie die radikale Linke auf diese Probleme reagieren muss und wie sie in diesen Kampffeldern agieren kann. Aber auch grundsätzliche Fragen sind in den »Barrikadengesprächen« angerissen worden: Wie, mit wem und warum soziale Bewegungen initiiert werden können oder wie sich die Organisierung der IL entwickeln soll, damit sie ihren Ansprüchen gerecht wird. »Die eigene Organisierung muss immer wieder kritisch reflektiert werden; ein Stillstand ist in dieser Gesellschaft nicht möglich und diesen kann die radikale Linke sich auch nicht erlauben«, sagte Hannah Eberle von der IL gegenüber jW.
Den bei den Veranstaltungen geführten Debatten konnte nicht der Raum gegeben werden, den sich viele gewünscht hätten, und sie fielen – wie so oft bei der IL – sehr akademisch aus. Dies birgt die Gefahr von Verständigungsproblemen auf und hinter den »Barrikaden«. Dies führte auch auf dem Kongress zu Unmut, da die Themen oft abstrakt behandelt worden sind und nicht in allen Workshops auf die praktischen Erfahrungen der Aktivisten eingegangen werde konnte.
Mit den internationalen Gästen wurde über Krisen, Kämpfe und Bewegungen in der Welt, welche sich immer schneller abspielen, und die daraus hervorgehenden Bedingungen für die Strategie der radikalen Linken und ihre politischen Interventionen diskutiert. Ein Ergebnis der Konferenz ist es, dass die Kämpfe weiterhin auf einer »transnationalen Ebene« stattfinden müssen. Es sei realitätsfern, zu einer nationalstaatlichen Ebene zurückkehren zu wollen; die Auseinandersetzungen müssten zumindest im europäischen Rahmen geführt werden, wie dies zum Beispiel bei Blockupy der Fall sei. Dies müsse die Konsequenz aus der Politik der herrschenden Klasse in Europa sein, denn auch diese sei europäisch. Diese Kämpfe sollen aber nicht an das geographische Europa gebunden sein. Im Moment sei es »die dringendste Pflicht des Internationalismus in Deutschland, den emanzipatorischen Kampf der Kurden zu unterstützen und auch in Hinblick auf den ›EU-Erdogan-Deal‹ Druck aufzubauen«, so Eberle. So endete die Konferenz mit einer Solidaritätsbekundung an die kurdischen Genossen; alle Teilnehmer, die noch die Zeit hatten, zogen zum Bahnhof, um dort mit den kurdischen Gruppen gegen den Aufmarsch türkisch-nationalistischer Verbände und der »Grauen Wölfe« zu demonstrieren.
Neben den transnationalen Aktionen will die IL in ihrer Praxis weiterhin die Kampagne »Stadt für alle« verfolgen, in welcher die städtischen Verteilungskämpfe zusammengeführt und neue Formen der Solidarität und auch der Aktion gefunden werden sollen. Erweitert um linksradikale Perspektiven, kann und soll dies nach Vorstellung der IL der Auftakt eines neuen kommunistischen Projekts werden.