Das "Recht auf Stadt", eine Losung die sich vor einigen Jahren eher im Soziologieseminar als auf der Straße fand, ist mittlerweile zum Top-Thema sozialer Kämpfe in deutschen Städten geworden – insbesondere steigende Mieten führten allerorten zu Protest und Unmut. Musste man früher mühsam die Sache mit dem „Gentrifidingsbums“ erklären, ist die Vertreibung aus der Nachbarschaft angesichts durch die Decke schießender Mieten heute Alltagserfahrung. Dennoch erreichen städtische Kämpfe selten eine Bewegungsdynamik, oft geht es um einzelne VermieterInnen, Wohnungsgesellschaften, Bezirke und BürgermeisterInnen. Doch was uns als lokales Problem erscheint, hat globale Ursachen.
Von der Immobilienblase zum Betongold
Die als "Finanzkrise" verharmloste Depressionsphase der Weltwirtschaft hatte ihre Anfänge in Immobilienblasen in den USA und Spanien. Faule Kredite platzten, Banken brachen zusammen, aus dem Traum vom Eigenheim wurde für viele ein Alptraum von Schulden und Obdachlosigkeit. Die spekulativ hochgetriebenen Preise fielen und viele konnten ihre Hypotheken nicht mehr bedienen. Auf diesem Höhepunkt der Krise ging die Verdrängung erst richtig los: Die Logik des Eigentums führte zu unzähligen Zwangsräumungen, während die Gläubiger die Häuser spekulativ leerstehen ließen. In der verqueren Welt des Finanzmarktkapitalismus existiert trotz Überschuss an Wohnungen massenhafte Obdachlosigkeit.
Doch die Lösung war nicht besser als die Krise: InvestorInnen zogen ihr Kapital aus Südeuropa ab und entdeckten den vermeintlich unterbewerteten deutschen Immobilienmarkt als sichere Anlagemöglichkeit. Während die Niedrigzinspolitik der EZB klassische Anlageformen wie Tagesgeldkonten und Sparbriefe unattraktiv machte, versprach der deutsche Immobilienmarkt hohe Renditen durch Mietsteigerungen und Schutz vor Inflation und Kapitalvernichtung Die Flucht ins „Betongold“ und die Aussicht auf sichere Renditen ließen die Preise für Immobilien in die Höhe schnellen – zwischen 2007 und 2013 stiegen die Preise für Eigentumswohnungen in Berlin um 73%. Wer konnte, kaufte seine Wohnung selbst - die Abstiegsangst derjenigen, die noch kreditwürdig waren, verschärfte die Preisspirale.
Die massiven Wellen von Verdrängung & Aufwertung werden also nicht von Hipstern und Studis angestoßen - sie gehen aufs Konto des globalen Finanzmarktkapitalismus. Neoliberale Trends wie die Privatisierung öffentlicher Wohnungen, Neubaustopps und das Ende von Mietpreiskontrollen schufen Knappheit und entfesselten den Wohnungsmarkt. Frei von allen Fesseln zeigte das Kapital dann, was es kann: Preisbildung durch Angebot und Nachfrage. Wer Miete, gestiegene Nebenkosten und Sanierungsumlagen nicht mehr tragen kann, zieht aus und häufig an den Stadtrand.
Die EZB und deine Miete
Die globale Krise und die Wohnungskrise in deiner Stadt sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Finanzkrise ist keine Schuldenkrise irgendwelcher Griechen, sondern Ausdruck der Struktur des Finanzkapitalismus: Unsere Mieten sind die Profite des Immobilien- und Finanzkapitals.
Insbesondere bei den großen Börsennotierten Wohnungsunternehmen sind letztere kaum noch zu unterscheiden - aber auch das kleine Kapital flüchtet sich ins Betongold. Was beim Mietezahlen passiert ist nichts anderes als die Umverteilung von Arbeitseinkommen in die Grundrente des Vermieters und im zweiten Schritt wiederum in die Profite von dessen Banken oder Anteilseignern.
Anstatt der Verknappung des Wohnungsmarktes durch sozialen Wohnungsbau entgegenzuwirken, wird die „schwarze Null“ beschworen. In der Dauerkrise dominiert die "Austerität", also das "Sparen, Sparen, Sparen" von Staaten, Ländern und Kommunen. In dieser Zwangsjacke des Sparens sind jedoch alle Möglichkeiten verbaut, durch öffentlichen Wohnungsbau das Angebot zu erhöhen und die Mieten zu senken. Deine Miete wird also auch in Frankfurt erhöht, ganz egal ob Du in Berlin, Münster oder in Sevilla lebst.
Den Normalbetrieb unterbrechen
Wer sich für ein Recht auf Stadt einsetzt, in MieterInnengruppen, Kiezinis und Nachbarschaftstreffen unterwegs ist, sich gegen steigende Mieten, aber auch gegen Videoüberwachung, Security und Privatisierung öffentlicher Räume einsetzt, kann die Augen nicht verschließen vor den globalen Kreisläufen des Kapitals. Auch der Sicherheitswahn in unseren Städten ist nichts anderes als Anlagensicherung, Teil einer auf Profit kalkulierten Aufwertung von Häusern, Straßen und Städten. Das Verschwinden von Brachen und Frei-Räumen nichts anderes als die Durchsetzung der bestmöglichen Verwertung des investierten Geldes.
Jeder lokale Kampf gegen diese Logik der Verwertung ist zu begrüßen, jede blockierte Zwangsräumung ist ein Gewinn, jede verhinderte Privatisierung stärkt das Bewußtsein, dass Wohnen ein Grundbedürfnis ist und keine Kapitalanlage. Dennoch fehlt den Kämpfen für das Recht auf Stadt oft die überregionale Vernetzung, die Vielfalt lokaler Gegner lädt dazu ein, sich in lokalen Abwehrkämpfen zu verzetteln.
Es ist an der Zeit, die Legitimität dieses Kapitalismus grundsätzlich anzugreifen. Wenn wir zeigen wollen, dass unsere Städte und Nachbarschaften keine Spekulationsobjekte, sind, dann müssen wir über den Tellerrand hinausgehen und ein Zeichen gegen die Normalität von Wohnraum als Ware, von Privatisierung & schlankem Staat setzen. Die antikapitalistischen Blockupy-Proteste am 18.3. bieten Gelegenheit, solch ein Zeichen zu setzen. Es geht dort nicht nur um Griechenland, Austerität, Eurozone, Memoranden und Fremdwörter. Es geht ganz konkret um unsere Lebenswirklichkeiten und lokalen Kämpfe. Wenn in Europa und der Welt Alternativen zum Finanzmarktkapitalismus wieder denkbar werden, dann stärkt das auch den Kampf um unsere Stadt.
Vergesellschaftung statt Verwertung
Das unwidersprochen hingenommene Wort von den "systemrelevanten" Banken zeigt, wie stark der Neoliberalismus schon vorgedrungen ist. Systemrelevant sind Grundbedürfnisse, und das Recht auf Zinseinnahmen gehört nicht dazu. Unser Gegenbegriff zur Verwertung muss Vergesellschaftung heißen: Die Abschaffung des Immobilienmarktes und seine Ersetzung durch ein System von Genossenschaften, Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und kollektiven Wohnprojekten. Erhöhte Grundsteuern, Vermögenssteuer, Mietobergrenzen, das Verbot von spekulativem Leerstand und auch Enteignungen müssen die Profite mit Wohnraum begrenzen und eine Umverteilung von Wohn-Eigentum in die öffentliche Hand sicherstellen. Unter dem Stichwort "Rekommunalisierung" werden diese Alternativen bereits diskutiert. Mit der dem "Roten Wien", wo eine sozialdemokratische Kommune einen stadteigenen Wohnungsbestand von 60% des Wohnungsmarktes aufbaute, gibt es historische Vorbilder. Doch was in den 1920ern noch reale Reform war, gilt heute vielen schon als Schreckgespenst des Kommunismus.
Diese Armut des Gedankens ist ein Grund mehr, Denkblockaden zu durchbrechen und am 18. März nach Frankfurt zu fahren! Blockupy ist mehr als Farbkleckser an einer Glasfassade, Blockupy ist ein Zeichen, dass es auch anders geht. Dass Wohnraum keine Ware ist, und die Warenwelt nicht das Ende aller Dinge.