Ein Thema brachte der AfD die zweistelligen Landtagsergebnisse:
Die Flüchtlingspolitik. Bei diesem Topseller würde sie es gerne belassen. Nun steht jedoch das immer wieder verschobene Parteiprogramm an. Die Programmatik einer neuen Partei ist von erheblicher Bedeutung: In diesem wird doch der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Partei bewegen will. Gleichzeitig lassen sich aber auch Hinweise auf mögliche Konfliktfelder und Bruchlinien ablesen.
Investigative JournalistInnen stellten den Entwurf vorab ins Netz. Kommt es so, wie es in diesem steht oder führen anhaltende Flügelkämpfe zu weiteren Glättungen und Entschärfungen an der einen oder anderen Stelle? Klar ist, dass der selbst behauptete Anspruch, Partei der kleinen Leute zu sein (Gauland), nicht sofort ad absurdum geführt werden soll. Hier ein paar Perlen aus dem Entwurf des AfD Parteiprogramms:
- Solidarische Sozialsysteme zerschlagen und privatisieren, Sozialleistungen streichen.
- Psychisch Kranke und Alkohol- und Drogenabhängige in eigens zu errichtenden Verwahranstalten wegschließen.
- Klimaerwärmung leugnen: Für mehr Atomkraftwerke und gegen erneuerbare Energien.
- Für ein reaktionäres Familienbild, welches die deutsche Familie aus Vater, Mutter und Kind als Keimzelle der Gesellschaft begreift.
- Alleinerziehende stigmatisieren und ihnen die bisherige Unterstützungen entziehen - statt Gleichstellung will die AfD die Frauenemanzipation angreifen.
- Klassische Law-and-Order-Politik, d.h. durch weitgehende Befugnisse entfesselte und verstärkte Polizei.
- Mehr privater Schusswaffenbesitz.
- Die Bundeswehr aufrüsten und diese weltweit für deutsche Interessen in den Einsatz schicken.
Die AfD-Positionen gegen Geflüchtete, gegen den Islam und zum deutschen Volk sind sattsam bekannt. Wer nicht männlich, weiß und wohlhabend ist und auf Bürgerrechte pfeifen kann, wird ein Problem mit der AfD an der Macht bekommen. Die Probleme indes existieren bereits mit oder ohne der AfD: Sei es die Herrschaft einer kleinen Elite von Kapitaleignern trotz formaler parlamentarischer Demokratie, immer mehr Flexibilitätsforderungen bei Kappung sozialer Sicherheiten oder eine Krisenpolitik, die auf den Rücken der Nichtkapitaleigentümer abgewälzt wird - sowohl im Zentrum selbst, als auch insbesondere in der Peripherie der EU.
Der bisherige Erfolg der AfD gründet auf der selbst postulierten Attitüde des grundlegenden Gegenentwurfs zu den für alternativlos erklärten Reformen und Wandlungen. „Wir sind die Partei des sozialen Ausgleichs“ (Frauke Petry) oder „Partei der kleinen Leute“ (Alexander Gauland). Dabei ist die AfD nicht Sprachrohr tatsächlicher oder vermeintlicher Verlierer des Systems. Vielmehr spannt sie den Bogen von selbsternannten Eliten über Nationalkonservative bis ins völkisch-nationalistische Lager. Die Partei ist rassistisch, frauenfeindlich und homophob. Sie verficht die Ideologie der Ungleichwertigkeit, die Intellektuelle der Neuen Rechten wie Neonazis mit einbezieht.
Das lässt sich konstatieren oder durch informative Aufklärung demaskieren. Doch AfD-Anhänger*innen stehen mit ihren Positionen bereits in der Mitte der Gesellschaft. Das ganze Spektrum von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit existiert in dieser oder ähnlicher Form bis hinein in Gewerkschaften und etablierte Parteien. Asylrechtsabsprachen, Sicherheitspolitik und Kriegseinsätze sind als Positionen nach rechts höchst anschlussfähig und strafen formale Abgrenzungsversuche gegen die AfD Lügen. Kein Wunder also, dass die AfD für Baden-Württemberg eine „konstruktive und bürgerliche Mitarbeit im Landtag“ angekündigt hat.
Der Kitt zwischen AfD, Konservativen, Neonazis und den „besorgten Bürgern“ ist die Einheitsfront des Rassismus und Nationalchauvinismus. Diese ist grotesk und widersprüchlich - aber sie bleibt wirkmächtig, solange das Prinzip der Solidarität und des Kampfes gegen die stark erscheinenden Herrschenden lieber zugunsten von Spaltung, Rassismus, Chauvinismus zurückgestellt wird.
Für die AfD-Führungsriege stellt sich beim Programmparteitag in Stuttgart die Frage, wie sie ihr Programm an die zahlreichen neuen WählerInnen am besten anpasst. Wir hingegen wollen das Programm als das entlarven, was es wirklich ist: Eine rückwärtsgewandte, nationalistische und auf Ausgrenzung zielende Schimäre, die nicht zu mehr sozialer Sicherheit, sondern zum Abbau sozialer Rechte und einer Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte führen wird.
Wir als Interventionistische Linke sind in die Organisation rund um die Proteste gegen AfD Bundesprogrammparteitag nicht besonders stark involviert, aber solidarisieren uns mit den Aktionen. Der AfD darf am 30. April für ihre Hetze keine Bühne geboten werden.
Die soziale Frage nicht rechts liegen lassen
Die AfD anzugreifen heißt, die kapitalistischen Bedingungen anzugreifen. Um in diesem Kampf erfolgreich zu sein, müssen wir als radikale Linke die Widersprüche des Systems zuspitzen und eine wirkliche Alternative aufzeigen. Unsere Waffe dafür ist die Solidarität: Solidarity for All – das ist der Ruf nach einer neuen sozialen Offensive:
Solidarität mit den Geflüchteten, die in einem Akt der Selbstermächtigung die Herrschenden herausgefordert und das europäische Grenzregime zum Wanken gebracht haben. An ihre Seite wollen wir uns stellen, wenn ihr Kampf mit repressiven Gesetzen juristisch, von der AfD und PEGIDA ideologisch oder durch Angriffe auf ihre Unterkünfte physisch angegriffen wird. Wir werden nicht zusehen, wenn sie gegen gegen die Abgehängten des freien Marktes ausgespielt werden. Dem schließen sich auch die Fragen nach sozialer Infrastruktur an, die sich in der Forderung nach einer Stadt für Alle zusammenfassen lassen: Kämpfe um Gesundheitsversorgung, Partizipation, Bewegungsfreiheit oder bezahlbarem Wohnraum – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Geldbeutel. Diese gilt es in unserem Alltag, z.B. in der Stadtteilarbeit und in Willkommensinitiativen anzunehmen.
Sie werden aber auch am Arbeitsplatz geführt: Präkarisierung und Ausbeutung sind als Folge von Privatisierung und Entdemokratisierung untrennbar mit den kapitalistischen Produktionsbedingungen verknüpft. Hier verdichten sich die Widersprüche des Neoliberalismus, die von uns in praktischer Streiksolidarität wie z.B. im Rahmen des Amazonkonsumtenstreiks oder den aktuellen Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen werden müssen.
Für Frauen* ist Sexismus trauriger Alltag, doch hat dieser seit den Ereignissen in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte auch medial wieder Hochkonjunktur. Doch statt einem Aufschrei gegen Alltagssexismus und besserem Schutz gegen sexuelle Übergriffe wird Gewalt gegen Frauen* zur rassistischen Stimmungsmache missbraucht. Das Problem heißt Sexismus und muss immer und überall thematisiert werden.
All diese Kämpfe müssen wir lokal annehmen und führen, können sie aber nur global gewinnen. Gemeinsam mit unseren internationalen FreundInnen gilt es die Austerität und autoritäre Tendenzen innerhalb der EU zu bekämpfen und internationale Solidarität praktisch werden zu lassen – Sei es mit aktiver Fluchthilfe, Angriffen auf das Grenzregime oder Solidarität mit dem Befreiungskampf unserer kurdischen GenossInnen.
Nicht nur in Stuttgart am 30.04. auf der Straße, sondern überall und jederzeit muss offensiv die soziale Frage thematisiert werden – Die AfD ist keine Alternative, sondern Ergebnis der herrschenden Verhältnisse.