Seit Jahren versuchen Nazis am 1. Mai mit Aufmärschen die »soziale Frage« zu thematisieren. In diesem Jahr will die NPD einen Monat vor den Blockupy-Protesten gegen die Krisenpolitik der Troika in Frankfurt am Main, Berlin und anderswo ihre völkisch und antisemitisch aufgeladene Kritik an Banken und dem Euro verbreiten. Mit nationalistischer und pseudo-antikapitalistischer Hetze will sie an eine diffuse antieuropäische Stimmung und an nationalistische Argumentationsmuster aus der Mitte der Gesellschaft anknüpfen. Wie die NPD so versuchen daneben rechtspopulistische Gruppen wie PRO, Alternative für Deutschland usw. die vorhandenen Ängste vor dem Durchschlagen der Krise hierzulande rassistisch zu kanalisieren.
Krise und RassismusAuch in der Mitte der Gesellschaft existiert eine rassistische Krisenerzählung, die die Ursachen der Wirtschaftskrise auf die vermeintlich »faulen Griechen« und »Siesta Spanier« schiebt und damit kulturalisiert. Die existierende Krise wird nicht als ein Problem der seit Jahrzehnten forcierten Polarisierung von Arm und Reich betrachtet. Die Ursache wird auch nicht in der Enteignungspolitik des Neoliberalismus oder den Spekulationsstrategien der Großbanken und der verheerenden Exportdominanz der Bundesrepublik in Europa – und der damit verbundenen Zerstörung lokaler Produktionsketten in den süd-(ost-)europäischen Ländern gesucht, sondern nur als ein Problem von kulturell bedingter Inkompetenz und Faulheit gedeutet.
Dieser national vermittelte Verblendungszusammenhang ermöglicht ungeachtet der realen Klassenunterschiede hierzulande eine nationalistische Überheblichkeit. Diese rassistisch eingefärbte Überheblichkeit ist häufig auch in den Äußerungen von Politiker_innen zu spüren, wenn großkotzige »Ratschläge« an »Schuldensünderländer « erteilt werden. Am deutlichsten brachte dies CDU-Frontmann Volker Kauder im Jahr 2011 auf den Punkt. Damals sagte er im Brustton national-historischer Rührung: »In Europa spricht man wieder deutsch«. Auch in den Medien wird an der Inszenierungen gearbeitet. Von den »Zypri-Idioten« (Phoenix) bis »Pleite-Griechen, verkauft doch eure Inseln« (BILD) reicht die mediale Empörungswelle. Zahlreiche Politiker_innen befeuern die Stimmung durch Parolen wie »Wir werden die Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bis zur letzten Patrone bekämpfen« (CSU-Seehofer).Diese markigen Sprüche setzt CSUBundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gerade praktisch um, indem er den Hartz-IV-Bezug von Menschen aus anderen EULändern abgeschafft hat. Derselbe Innenminister schürt auch aktuell die Ängste vor einer Einwanderungswelle aus Osteuropa und legte für die Bundesregierung ein Veto gegen die Reisefreiheit für Bulgar_innen ein. Die für 2014 geplante Arbeitsfreizügigkeitsregelung mit Balkanländern wird zu einem Schreckensszenario hochstilisiert.
Viele Roma aus Südosteuropa fliehen vor dem brutalen Rassismus und der Perspektivlosigkeit in ihren Ländern. Hierzulande wird Antiziganismus immer offener artikuliert und dabei unverhohlen an rassistische Stereotype aus der NS-Zeit angeknüpft. Im Umgang mit den zahlreichen Flüchtlingen aus den vielfachen Krisenregionen der Welt setzen Regierung und auch SPD-Innenminister in den Ländern auf einen harten Kurs. Die Außengrenzen der EU werden durch die EU-Agentur Frontex und Abkommen mit Ländern auf den Migrationsrouten abgeschottet und diejenigen, die durchkommen, werden für das Wirtschaften in den Schattenökonomien in der Landwirtschaft und Gastronomie profitabel ausgebeutet. Eine Vielzahl von Geflüchteten wird durch Residenzpflicht und das Verbot legaler Arbeit ausgegrenzt und drangsaliert, und müssen häufig in abgeschotteten Sammellagern ihr Dasein fristen.
Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern hat sich in der Bundesrepublik noch keine starke und stabile Parteigründung rechts des konservativen Lagers entwickelt. Getreu dem Motto von Franz-Josef Strauß »Rechts von uns ist nur die Wand« versuchen Konservativen ‑ aber auch Sozialdemokraten ‑ dieses Spektrum bei sich zu beheimaten. Durch profilierte rechte Aushängeschilder wie Heinz Buschkowsky in Berlin-Neukölln oder die Ablehnung des Ausschlusses von Thilo Sarrazin versucht die SPD-Führung, die Partei auf der rechten Seite anschlussfähig zu halten. Zudem besteht zwischen CDU/CSU und SPD stets ein Wettbewerb darum, wer sich besser als Hardliner in der Innenpolitik profilieren kann.
Europa?
Die Vielfachkrise zeigt in Europa momentan ein neues Gesicht. Durch die vermeintliche »Bankenrettung« wurden die Milliardenverluste aus der Wirtschafts- und Finanzkrise vielerorts zu einer ruinösen Staatsschuldenkrise. Faktisch wurden die Verluste von Banken und Unternehmen auf die Allgemeinheit umgelegt. Von (neo-)liberalen Dogmen wie der »unsichtbaren Hand des Marktes« (Adam Smith) oder der »reinigenden Krisen« (Schumpeter) war damals wenig zu hören.Jetzt wird jedoch der neoliberale Rezeptblock seitens der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU erneut gezückt. Den Krisenländern soll eine Rosskur verabreicht werden. Mit anderen Worten: die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung sollen direkt unter Beschuss genommen werden, kurzum eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Das Muster ist seit den IWF-Strukturanpassungsprogrammen der 1980er Jahren immer gleich: Privatisierungen staatseigener Betriebe, Kürzung von Renten und Pensionen, Massenentlassungen und Kürzung von Löhnen und Arbeitslosengeldern sowie Beschneidung von Arbeitsrechten der Beschäftigten. Gegen diese Umverteilungspolitik gibt es in Spanien, Portugal, Italien, Slowenien, Bulgarien, Griechenland und vielen anderen Ländern massive Proteste, die sozialen Bewegungen üben starken Druck auf ihre Regierungen, aber auch auf die Troika aus. Der steigende Druck wird mancherorts zum enormen Problem für die Regierungen. So wundert es nicht, dass eine rassistische Kanalisierung der Proteste folgt. Der Druck gegen Geflüchtete ist in allen Ländern gewachsen, Irland wies alle Migrant_innen ohne Arbeitsplatz aus, Spanien verbot ihre kostenlose medizinische Behandlung, in Griechenland wurden Tausende Migrant_innen in Lager gesperrt und lange dort lebende Migrant_innen durch neue Gesetze in die Illegalität getrieben.
Neben diesem staatlichen Rassismus nimmt auch wechselseitig bedingt gesellschaftlicher Rassismus zu. Das vom Europarat eingesetzte Europäische Komitee gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) konstatiert ein drastisches Anwachsen von Rassismus in Europa. Rassistische Stimmungsmache, Sondergesetze und Polizeipraktiken haben über Jahrzehnte hinweg ein gesellschaftliches Klima geprägt, das unter Krisenbedingungen abrufbar und mobilisierungsfähig geworden ist. Die offene Gewalt und die Erfolge von faschistischen Bewegungen wie Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in Griechenland sind nur eine besonders sichtbare und brutale Dimension dieser Entwicklung.
Der Block an der Macht
Die derzeitige Politik der Bundesregierung und des gesamten Herrschaftsensembles aus europäischen Institutionen, Wirtschaftsverbänden und Banken ist davon geprägt, die Krise zu nutzen, um die Machtverhältnisse zugunsten der Kapitalseite zu verändern und den EURO als Währungs- und Wirtschaftsraum zu bewahren. Viele Kapitalfraktionen ringen dabei um die genaue Justierung des Kurses, den der »Block an der Macht« (Gramsci) dabei einschlägt.
Durch die Privatisierung von Betrieben, der Übernahme von Energie- und Telekommunikationsfirmen, Banken und neue gigantische Absatzmärkte konnten Milliardengewinne erzielt werden. Der Schutz dieser Anlagen und der Schutz dieses Wirtschaftsraums ist das Ziel der sogenannten Hilfspakete gewesen, der Großteil der Gelder »an Griechenland« floss direkt in die »Geberländer« zurück, sei es als Sicherheit für deutsche Kredite, Spekulationsgewinne oder Firmenanteile.
Die eingesetzten Gelder wandern auch in der Bundesrepublik direkt von der öffentlichen Hand in die privaten Taschen von Aktionären. Die zunehmende Verschuldung hier und auch in den »Nehmerländern« ist dabei durchaus von Interesse, denn verschuldete Länder stehen unter Druck der Kapitalmärkte, und müssen um Investitionen kämpfen, dies bedeutet weitere Standortkonkurrenz im Interesse des Kapitals. Die Schuldenökonomie ist Teil einer solchen »Schock-Strategie« und besser (zentral) regierbar. Das Handeln des Blocks an der Macht ist also weder komplett planlos, wie es manchmal erscheint, noch von einem Masterplan einer kleinen geheimen Gruppe gesteuert.
Für einige Menschen ist die Beschlagnahmung von privaten Sparguthaben auf Zypern ein Dammbruch und könnte auch der »eurokritischen« Rechten Auftrieb geben. Das Auftreten der »Alternative für Deutschland «, um den ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und Frontmann Bernd Lucke, füllt momentan medial die Rolle des Mahners und Kritikers aus. Die Parteigründer versuchen das Stigma »Rechtspopulismus« zu vermeiden, eine Abgrenzung gegenüber der traditionellen rechten Szene wird mit Nachdruck gesucht. Ob der Versuch, um das Thema »Eurokritik« herum eine neue nationalistisch-populistische Partei im Parlament zu etablieren, gelingt, bleibt abzuwarten. Die »Alternative für Deutschland« hat durchaus Chancen dazu.
Die bereits bestehende PRO-Partei hat es (noch) nicht geschafft, bundesweit mit dem Thema »Islamisierung« Fuß zu fassen. Die PRO-Partei hat dabei mit dem Arsenal von öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen und vermeintlichen »Tabubrüchen« auf der Klaviatur des antimuslimischen Rassismus versucht, dieses Thema zu besetzen und in Wahlergebnisse umzusetzen.
Die NPD, als momentan stärkste Partei im extrem rechten Spektrum, versucht ebenfalls, mit dem Thema »Eurokritik« zu punkten. Trotz einer Serie von Niederlagen ‑ bei Wahlen oder durch blockierte Aufmärsche ‑ und internen Grabenkämpfen hat die NPD in einigen Regionen eine wirksame politische Verankerung und Kaderbildung erreichen können.
Wenn es einer Partei oder einer rechten Formierung gelingen sollte, die Themen »Eurokritik« und »Islam« auf einer politischen Agenda zu verbinden, oder eines der Themen durch aktuelle politische oder ökonomische Ereignisse massenwirksam wird, kann auch in Deutschland eine eigenständige rechte Formierung mit Massenpotenzial entstehen.
Die antifaschistische Bewegung steht von großen Herausforderungen. Über klassische Antifa-Politik hinaus ist eine Beschäftigung mit den Auswirkungen der Krise und einer neuen Konjunktur des Rassismus unerlässlich. Die rassistische Mordserie des NSU hat erst vor Kurzem gezeigt, welches mörderische Potenzial in der militanten Naziszene existiert. Die Konsequenz aus rassistischen Ermittlungen, Verstrickungen mit V-Leuten und geheimdienstlicher Vernebelungspolitik muss sein, dass die Beobachtung und Bekämpfung der Naziszene weiterhin eine zentrale Aufgabe einer antifaschistischen Bewegung sein muss. Der NSU-Komplex zeigt aber auch, dass wir dabei sensibler und aufmerksamer sein müssen als bisher, wenn es darum geht, den Betroffenen von potenziell rechter Gewalt zuzuhören. Dies bedeutet aber auch entschlossen und konsequent einzugreifen, wenn sich diese Szene öffentlich bemerkbar macht.
Die NPD ist nach wie vor für dieses Spektrum ein wichtiger Knotenpunkt. Sie bietet einen Erlebnisraum durch Aufmärsche, Parteiarbeit, Schulungen und Propagandamaterial. Zudem sind die Erlebniswelten von NS-Konzerten und Musik wichtige Rekrutierungsräume für die militante Naziszene. In Dresden ist es uns gelungen, durch eine interventionistische Politik von breiten Bündnissen und einer entschlossener Praxis der Massenblockaden einen zentralen Erlebnisraum zu schließen. Dieses Beispiel hat bundesweit Schule gemacht und zahlreiche Bündnisse inspiriert und in Dresden selber die verfestigten konservativen Strukturen verflüssigt und Risse in dem Block aus Regierung, Justiz, Medien und Polizei aufgezeigt. Durch die Herausforderung und die gemeinsame antifaschistische Aktion ist uns ein wirklicher Erfolg gegen die Nazis und auch den konservativen Block gelungen.An diese Erfolge kann angeknüpft werden und die Verbindungen zu antifaschistischen Aktivist_innen in verschiedenen politischen Spektren und Organisationen ausgebaut werden. Die gemeinsamen Erfahrungen und Allianzen sollten auch für weitere politische Felder nutzbar gemacht werden. Die Erfahrungen aus Bündnissen gegen Naziaufmärsche können nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden und bürgerliche Antifaschist_innen sind sozialpolitisch manchmal die Adressat_innen unserer Kritik. Dennoch finden sich in der Vorgehensweise einer breiten Bündnisorientierung mit einem praktischen Anteil von Ungehorsam und gemeinsamen politischen Debatten sicher Anknüpfungspunkte.
Die antifaschistische Bewegung muss intensiv mit den rechten Formierungen und dem Wechselspiel mit dem »Extremismus der Mitte« beschäftigen. Die Themenfelder »Eurokritik« und »Islamkritik« sind aktuell die Chiffren einer Neuformierung des rechten Lagers und sollten für uns eine Analyse der bestehenden Formationen und ihre frühzeitige Bekämpfung auf die Tagesordnung setzen.