Unser Widerstand ist außerparlamentarisch

Blockupy 2012
Blockupy 2012 "Mit Vielen, mit Leidenschaft und Spaß kämpfen wir für eine bessere Welt außerhalb der Parlamente."

Auch wenn die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen überhaupt nicht für eine linke Wechselstimmung sprechen, geistert die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Regierungskoalition auf Bundesebene noch immer durch die politischen Debatten der verschiedenen Spektren der Linken. Befeuert wird diese Diskussion durch die Wahlerfolge rechter und autoritärer Parteien in vielen Ländern Europas, in Deutschland durch das Erstarken der AfD. Da scheint vielen plausibel, dass sich alle irgendwie antirassistischen und demokratischen Kräfte zusammenschließen müssten, um eventuell unter Inkaufnahme kleinerer Übel Schlimmeres zu verhindern.

Was aber bei einer konkreten Abstimmungsentscheidung oder einem breiten Bündnis gegen das Auftreten rechter Parteien im Wahlkampf eine sinnvolle Option sein kann, wäre als allgemeine Strategie der Linken, zumal der radikalen Linken fatal. Wir wollen im folgenden erklären, wie sich die Interventionistische Linke zur Frage einer rot-rot-grünen Regierung stellt, auch um den diesbezüglichen Missverständnissen und Unklarheiten entgegenzutreten.
In unserem Zwischenstandspapier von 2014 haben wir geschrieben: „Weil wir auf den Bruch orientieren, ist unsere Politik außerparlamentarisch und grundsätzlich antagonistisch zum Staat. Wir wollen kein Teil der bürgerlichen Staatsapparate werden, wir streben keine Funktionen und Mandate an. Wir glauben nicht daran, dass parlamentarische Mehrheiten in der Lage sind, die Gesellschaft grundsätzlich und in einem emanzipatorischen Sinn zu verändern.“
Damit ist zwar nicht gesagt, dass wir „linke Regierungen“ oder Regierungen mit der Beteiligung linker Parteien immer und überall ablehnen. Aber wir treten der Illusion entgegen, dass Regierungen im Kapitalismus der zentrale Ort gesellschaftlicher Macht wären und sind grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Konzept politischer Repräsentation, auf dem die bürgerliche Demokratie aufbaut. Linke und insbesondere linksradikale Politik muss dagegen auf Selbstermächtigung, Organisierungsprozesse in politischen und sozialen Kämpfen sowie auf die Schaffung gesellschaftlicher Gegenmacht jenseits und quer zu den staatlichen Institutionen setzen.
Auch außerhalb dieser grundsätzlichen Überlegungen sind die bislang vorliegenden Erfahrungen mit linken Regierungsbeteiligungen entmutigend: Eine rot-rote Landesregierung hat 2002-2011 in Berlin massive Privatisierungen zu verantworten, ein Minister der Linkspartei stützt in Brandenburg mit allen Mitteln die Braunkohleindustrie. Die 2017 angetretene neue Berliner Regierung hat zwar viele Forderungen sozialer Bewegungen in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dennoch addieren sich diese eher zu einem Minimalprogramm als zu einem gesellschaftlichen Neuanfang und werden nur mit massivem außerparlamentarischen Druck überhaupt durchsetzbar sein.
International sieht es nicht besser aus. Nach den Erfahrungen in Frankreich in den 1980er und in Italien in den 2000er Jahren, steckt vielen von uns vor allem die Niederlage der griechischen Linksregierung noch in den Knochen. Ursprünglich getragen von einem ermutigenden Aufbruch gesellschaftlicher Bewegung gegen die Spardiktate, ist Syriza in atemberaubender Geschwindigkeit zum Sachverwalter der Troika und des europäischen Grenzregimes geworden, der keinerlei linke Hoffnungen mehr zu mobilisieren vermag. Die realen Kräfteverhältnisse im deutschen Europa der traurigen schwarzen Null ließen kaum Spielraum, zumal die Unterstützung durch starke Bewegungen außerhalb Griechenlands ausblieb. Auch Blockupy war nur ein kleiner Hinweis auf das, was eigentlich nötig gewesen wäre.
Nun scheint das Gedankenspiel verlockend, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn der deutsche Finanzminister in der Griechenlandkrise nicht Wolfgang Schäuble geheißen hätte. Wäre eine Regierung nicht ein substanzieller Fortschritt, die mit der Austeritätspolitik bricht, die Umverteilung von unten nach oben umgekehrt, das Hartz IV-System abschafft, das Sterben mit Mittelmeer beendet, aus der Kohleverstromung und dem Autowahn aussteigt oder die Auslandseinsätze der Bundeswehr beendet? Leider sprechen die realen Kräfteverhältnisse eine andere Sprache und wir glauben nicht an eine rot-rot-grüne Bundesregierung, die im offenen Konflikt mit den Kapitalinteressen auch nur einen einzigen dieser Punkte zum Guten wenden kann.
Der „realpolitische“ Teil der Linkspartei, der bereit ist, sich zu fast jedem Preis an die Fleischtöpfe der vermeintlichen Macht zu drängen, würde hierauf antworten, dass der Einfluss einer Partei in einer Koalition nun einmal entsprechend ihres Stimmenanteils begrenzt sei. Aber auch bei den anderen Befürwort_innen einer Regierungsbeteiligung fehlt nach unserer Beobachtung jede klare politische Haltelinie, was denn erreicht werden soll und an welcher Stelle die Kompromissbereitschaft enden müsste. Daneben – das soll nicht verschwiegen werden – gibt es natürlich auch in der Partei viele, die aus unterschiedlichen Gründen vor einer Orientierung auf rot-rot-grün warnen. Auch wenn sich deren Analyse bei der Frage der Ausrichtung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen auf unmittellbare ökonomische Interessen bei gleichzeitiger Unterschätzung bis Missachtung antirassistischer, feministischer oder ökologischer Kämpfe ebenfalls stark von unseren Positionen unterscheidet.
Die große Gefahr, die wir sehen, ist eine nachhaltige Enttäuschung über die Glaubwürdigkeit und die Möglichkeit linker Opposition gegen die Verhältnisse. Tatsächlich fehlt in der Bundesrepublik Deutschland jede Voraussetzung, um über ein linkes Regierungsprojekt ernsthaft nachzudenken. Es gibt kein „linkes Lager“, sondern sowohl SPD als auch Grüne sind Parteien, die sich rettungslos dem „Weiter so“ des Neoliberalismus (mit minimalen sozialen und ökologischen Korrekturen) verschrieben haben. Ausgehend von der Theorie, dass es darauf ankommt, gegenüber dem rechten, rassistischen Autoritarismus und dem neoliberalen Block an der Macht einen dritten gesellschaftlichen Pol der Solidarität auszubilden, geht es daher um Opposition, nicht um Kooperation.
Wir sind davon überzeugt, dass gesellschaftliche Veränderungen nicht von oben, also von Staats wegen eingeleitet werden können. Einige von uns glauben allerdings, dass es sinnvoll ist, sich strategisch auf Kämpfe auf dem Terrain des Staates zu beziehen. Demnach kann es historische Konstellationen geben, in denen starke außerparlamentarische Bewegungen ihren Ausdruck in einer Linksverschiebung des Parteienspektrums und dann auch in einem Regierungswechsel finden, um schließlich in einer widersprüchlichen Kooperation die Dinge zum Besseren zu wenden. Andere sind überzeugt, dass der bürgerliche Staat grundsätzlich bekämpft und schließlich zerschlagen werden muss. Wir sind uns jedoch einig, dass solche starken Bewegungen gegenwärtig gar nicht existieren. Falsch finden wir in jedem Fall das in der Debatte vorgebrachte umgekehrte Argument, dass etwa eine Regierung mit linker Beteiligung eine Bewegungskonjunktur hervorrufen könnte.
Nun stecken wir glücklicherweise nicht in dem strategischen Dilemma der Linkspartei, deren Wähler_innen in der Mehrheit die Bereitschaft zur Übernahme von „Regierungsverantwortung“ und reale Veränderungen ihrer Lebenssituation erwarten, während die tatsächlichen Spielräume dafür nahe Null sind. Weder ist die Interventionistische Linke eine Strömung innerhalb der Linkspartei noch stellen wir uns in den Strömungsauseinandersetzungen auf eine bestimmte Seite. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, uns als radikale Linke außerhalb der Partei zu organisieren. In vielen Kampagnen und Projekten von Heiligendamm über Dresden Nazifrei und Blockupy bis aktuell zum G20 war und ist die Linkspartei für uns aber wichtige strategische Bündnispartnerin.
Aus dieser strategischen Zusammenarbeit folgt für uns ein vitales Interesse an einer bewegungsorientierten, inhaltlich glaubwürdigen und auch außerparlamentarisch handlungsfähigen Linkspartei. Daher sehen wir die Debatte um eine mögliche Beteiligung an einer Bundesregierung mit Sorge und können nur hoffen, dass es nach den Wahlen im September nicht der vermeintliche Sachzwang der Zahlen ist, der trotz fehlendem fortschrittlichen Projekt in eine r2g-Konstellation treibt.
Zugegeben: Das Konzept des geduldigen Aufbaus von Gegenmacht und der Stärkung von Selbstermächtigung sowohl in lokalen Kämpfen wie in überregionalen Kampagnen hat nicht den Charme, schnelle gesellschaftliche Veränderungen zu versprechen. Der nüchterne Blick auf die Kräfteverhältnisse hat immer auch etwas Ernüchterndes. Wir wollen auch nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir als immer noch kleiner, organisierter Teil einer insgesamt marginalen radikalen Linken die richtige Antwort auf alle Fragen. Aber für uns bleibt es dabei, dass wir die Risse und Brüche in der herrschenden Ordnung nicht kitten, sondern vertiefen wollen.
Wir dürfen es keinesfalls den Rechten überlassen, Widerspruch gegen die Zumutungen des neoliberalen Kapitalismus zu formulieren und sich als Stimme des Unbehagens darzustellen. Das entschiedene Nein gegen die materielle und soziale Verelendung, gegen die Unmenschlichkeit der Migrationspolitik, gegen Krieg und Ausbeutung in der Welt, gegen die Zerstörung des Klimas und der natürlichen Lebensgrundlagen muss von links kommen und es muss zuallererst auf der Straße formuliert werden.
Mit diesem Gedanken mobilisieren wir gegen den G20-Gipfel im Juli Hamburg, beteiligen uns an den Aktionen von Ende Gelände, treten der AfD praktisch entgegen, engagieren uns in zahlreichen lokalen Kämpfen und Initiativen von Mietkämpfen bis zum Pflegestreik und rufen unmittelbar vor der Bundestagswahl mit zur großen antirassistischen We’ll come together-Demo in Berlin auf, die die Stimme derjenigen hörbar machen soll, denen neben anderen grundlegenden sozialen und politischen Rechten auch das Wahlrecht verweigert wird.

Interventionistische Linke, Juni 2017