Es reicht!

Gemeinsame Erklärung zum NSU-VS-Skandal

Die NSU-Affäre ist einer der größten politischen Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Über Jahre hinweg verübte der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) rassistisch motivierte Morde in ganz Deutschland – und dies offensichtlich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Doch unter Tatverdacht gestellt wurden bei der Mordserie die Angehörigen und das persönliche Umfeld der Opfer.

Besonders deutliche Hinweise auf Verbindungen zwischen Inlandsgeheimdienst und dem rechtsterroristischen Netzwerk gibt es in Hessen. Der Mitarbeiter des dortigen Verfassungsschutzes Andreas Temme war beim NSU-Mord in Kassel 2006 am Tatort: Er saß in jenem Internet-Café, in dem der 21-jährige Halit Yozgat am 6. April 2006 erschossen wurde. Es gibt Indizien, dass dies kein Zufall war. Protokolle einer Telefonüberwachung lassen den Schluss zu, dass Temme und einer seiner V-Leute aus der Nazi-Szene über den Mordanschlag auf Halit Yozgat im Vorfeld informiert waren.

Doch eine Aufklärung der Kontakte des hessischen VS zum NSU-Umfeld wird seit Jahren systematisch behindert. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei der frühere Innenminister und heutige Ministerpräsident von Hessen Volker Bouffier (CDU). Als Dienstherr des Verfassungsschutzes trägt er die politische Verantwortung für die Machenschaften seiner Behörde. Nach dem Auffliegen des NSU hat er alles dafür getan, um eine Aufklärung zu unterbinden. So untersagte er den hessischen VS-Beamten Aussagen vor dem Berliner Untersuchungsausschuss und sorgte – trotz haarsträubender Widersprüche –für die Einstellung des Verfahrens gegen seinen Untergebenen Temme.

Auch andere staatliche Stellen haben zur Vertuschung der Verbrechen beigetragen. Im von Hans-Peter Friedrich (CSU) geführten Bundesinnenministerium begann man unmittelbar nach der Enttarnung des NSU im November 2011 damit, Hunderte von Akten zu schreddern. Sowohl in Thüringen als auch in Baden-Württemberg wurden Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund der NSU-Mordserie von Sicherheitsbehörden frühzeitig unterschlagen. Außerdem wurden Hinweise auf ein größeres, über Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hinausgehendes rechtsterroristisches Unterstützernetzwerk systematisch ignoriert.

Eine plausible Erklärung dafür lautet, dass Mitarbeiter der Inlandsgeheimdienste so eng mit dem NSU-Netzwerk kooperierten, dass Ermittlungen verhindert werden mussten. Der ehemalige Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Klaus-Dieter Fritsche hat dieser These Nahrung gegeben, als er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages äußerte: „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.”

Die Inlandsgeheimdienste rechtfertigen ihr Verhalten mit dem so genannten „Quellenschutz“. Doch wozu dient eine Informationsbeschaffung, die rechtsterroristische Morde nicht verhindert und die Aufklärung von Verbrechen sogar erschwert? Aktive Neonazis haben vom Staat Geld für Informationen erhalten, die nicht zur Verbrechensbekämpfung verwendet wurden und auf die demokratische Instanzen keinerlei Zugriff hatten. Der Verfassungsschutz steht mit diesen Praktiken außerhalb der Legalität. Er stellt für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft eine Gefahr dar und gehört abgeschafft.

Wir fordern
  • Auflösung des Verfassungsschutzes!
  • Sofortiger Rücktritt von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier!
  • Lückenlose Aufdeckung der Kontakte zwischen VS und NSU-Umfeld!

Unterzeichner/innen:
  • Ute Adamczewski, Filmemacherin, Berlin
  • Ulrich Brand, Professor für Politik, Wien
  • Sabeth Buchmann, Kunsthistorikerin, Wien
  • Jan Buck, Theaterautor, Gießen
  • Alex Demirovic, Professor für Soziologie, Frankfurt
  • Katja Diefenbach, Kulturwissenschaftlerin, Berlin
  • Marion Dittmer, ver.di – Landesmigrationsausschuss, Hamburg
  • Anselm Franke, Kurator, Berlin
  • Ismet Giritli, Betriebsrat Deutsche Post, Hamburg
  • Nanna Heidenreich, Medienwissenschaftlerin Berlin / Braunschweig
  • Ute Langkafel, Fotografin, Berlin
  • Juliane Karakayali, Professorin für Soziologie, Berlin
  • Romin Khan, Referent Migrationspolitik bei ver.di, Berlin
  • Thomas Meinecke, Schriftsteller, München
  • Michaela Melian, Künstlerin / Musikerin, München / Hamburg
  • Angela Metipoulos, Künstlerin, Berlin
  • Emilija Mitrovic, Mitglied im Bundesmigrationsausschuss bei ver.di, Hamburg
  • Eltayeb Mohamed, Betriebsrat Deutsche Post, Hamburg
  • Miltiadis Oulios, Autor, Düsseldorf
  • Gisela Reich, ver.di AK Antirassismus, Hamburg
  • Jayrôme C. Robinet, Autor, Berlin
  • Kathrin Röggla, Schriftstellerin, Berlin
  • Marianna Salzmann, Theaterautorin, Berlin
  • Natascha Sadr Haghighian, Künstlerin, Berlin
  • Frank Spilker, Musiker, Hamburg
  • Margarita Tsomou, Autorin / Künstlerin, Berlin
  • Dorothee Wenner, Filmemacherin / Kuratorin
  • Michael Wildenhain, Schriftsteller, Berlin
  • Jolanta Woznick, ver.di – Landesmigrationsausschuss, Hamburg
  • Raul Zelik, Autor / Übersetzer, Berlin
  • Allmende, Haus alternativer Migrationspolitik, Berlin
  • Antirassistische Initiative Berlin e.V.
  • Interventionistische Linke (Berlin)
  • Initiative „Keupstraße ist überall“