Reißen wir die Mauern der Gewöhnung in unseren Köpfen ein, desertieren wir aus der Normalität

Rede bei Knastkundgebung vor JVA Preungesheim
Wir leben in Zeiten der Ideenlosigkeit. Umzingelt von Krisen und eingemauert von Alternativlosigkeit haben wir die Vorstellung dafür verloren, dass es anders sein könnte. Anders werden muss.
Wir haben uns gewöhnt an schreiende Ungerechtigkeit und Doppelmoral, haben uns gewöhnt an die Enteignungen unserer Lebenszeit in Fabriken und Büros, an den Diebstahl durch Banken und Politiker*innen und die schonungslose Vernutzung unserer Körper und die andauernde Zerstörung der uns umgebenden Lebensgrundlagen.
Die Tristesse der Gewöhnung führt dazu, dass alle machen, was sie sollen. Und wenn es denn Menschen gibt, die  nicht das tun, was sie tun sollten, sondern das, was sie für eine bessere Welt für alle für richtig halten, dann muss der Staat, der Hüter der gegebenen Ordnung, dieses Aufbegehren, dieses Aufmucken, dieses Aus-der-Reihe-tanzen nicht nur verhindern, er muss es auch delegitimieren und sanktionieren.

Dieser ordnungspolitische Reflex lässt sich beobachten bei dem Vorgehen gegen Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung mit drakonischen urteilen, er ist sichtbar in den Urteilen gegen Seenotretter:innen und in dem Verfahren rund um Lina E, der andauernden Verfolgung von Antifas,


Der unablässige Verfolgungswille der Sicherheitsbehörden, gegen die Störenfriede der Ordnung, lässt sich nicht zuletzt 31 Jahre nach ihrer letzten Aktion und 26 Jahre nach ihrer Auflösung an der Verfolgung der ehemaligen RAF Mitglieder Daniela Klette, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub sehen.
Am Tag der Solidarität mit politischen Gefangenen geht es genau darum. Repression ist nicht nur anstrengend, kostspielig und unbeqem für die Betroffenen. Repression soll uns zeigen, jeder Widerstand ist zwecklos. Sie richtet sich nicht nur auf die Gefangenen und ihre Angehörigen, sondern immer gegen die ganze Gesellschaft. Sie zielt auf die Eliminierung und Zersetzung der Möglichkeit einer anderen Gesellschaft. Und auf einen Angriff auf die Strukturen und Räume die dieser anderen Gesellschaft hervorbringen. Verfolgung, Strafen und Knast sollen ein Klima der Angst erzeugen. Niemand soll es wagen grundsätzlich die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen und radikal gegen sie aufzustehen.

Am Tag der Solidarität mit politischen Gefangenen geht es deswegen nicht nur um die gemeinsame Verteidigung gegen Angriffe auf linke Strukturen, Organisierungen und Personen, sondern auch um die Verteidigung des Rechts und der Notwendigkeit von Aufstand, Aufbegehren und Widerstand. Am 18. März geht es uns um die Verteidigung eines politischen Verständnisses, das hofft, begehrt, kämpft und sich nicht unterkriegen lässt.

Der 18. März als Aktionstag der Solidarität mit politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression knüpft an eine Geschichte der Kämpfe und Aufstände an. An den Märzaufstand von 1848, die Pariser Commune von 1871 und die Befreiung Russlands vom Zaren 1917. In Deutschland steht der 18. März 1848 auch für den proletarischen Aufruhr gegen die alten feudalen Herrscher und auch die neu entstandene Bourgeoisie. Am 18. März 1848 begannen die Barrikadenkämpfe des vorher unbekannten Berliner Proletariats, das militant gegen das Militär vorging.

Am 18. März 1871 übernahm die Nationalgarde in Paris die Macht und läutete damit den Beginn der Pariser Commune ein. Die Rache der französischen Bourgeoisie kostete 25.000 Menschen das Leben, 3.000 starben in den Knästen, 13.700 wurden verurteilt, die meisten zu lebenslänglichen Strafen. Deshalb wurde der 18. März zuerst »Tag der Pariser Kommune« genannt und bis in die 1920er Jahre innerhalb der Arbeiter*innenbewegung jährlich begangen.

Daran anknüpfend erweiterte 1923 die ein Jahr zuvor gegründete Internationale Rote Hilfe  den 18. März als »Internationaler Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen«. »Ein Tag, um das Wüten der bürgerlichen Klassenjustiz und des weißen Terrors allen Werktätigen ohne Unterschied zum Bewußtsein zu bringen.« Mit diesem Tag sollte vor allem das Bewusstsein und die Solidarität für die Lage der politischen Gefangenen weltweit erzeugt und verankert werden und auf diese Weise auch praktisch zum Ausdruck kommen.

Die Reaktion auf die erfolgreiche Revolution in der Sowjetunion und die instabile Lage der kapitalistischen Staaten nach dem ersten Weltkrieg hatte zu einer massiven Verschärfung im Kampf gegen die revolutionären Kräfte geführt. Der weiße Terror wütete allerorts. In zahlreichen Staaten Nord- und Osteuropas wurden schon 1918 Konzentrationslager errichtet, in denen allein in Finnland mehr als 26.000 Menschen umkamen. In Bulgarien und Bessarabien wurden ca. 30.000 Menschen ermordet, in Polen wurde mit Giftgas gegen streikende Arbeiter*innen vorgegangen. In Deutschland ließen Sozialdemokraten auf streikende Arbeiter*innen und Matrosen schießen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden ermordet.
Weltweit landeten zahllose Revolutionär*innen im Knast. Sie selbst waren von übelsten Schikanen und Folter betroffen, ihre Familien hatten durch politische Repression und materielle Not oftmals ebenfalls zu leiden. Vor diesem Hintergrund entstanden in mehreren Ländern, unter anderem in Deutschland, Polen und Bulgarien, lose Hilfsorganisationen, in denen vor allem die Angehörigen der getöteten, verhafteten oder geflohenen Revolutionär*innen wirkten. In Deutschland gründete sich die ersten Hilfsvereine bereits 1919.

Aus den Hilfsvereinen entwickelte sich die Rote Hilfe Deutschlands. Am 18. März gingen in den 1920er Jahren fortan in allen Ländern Menschen für die Opfer politischer Justiz auf die Straße, beispielsweise für die in den USA zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vancetti. Die bis dahin beispiellose internationale Kampagne für Leben und Freiheit der beiden Anarchisten konnte sie zwar nicht vor dem staatlichen Mord retten, zeigte aber die Möglichkeiten internationaler Solidarität auf. Auch, dass Solidarität nur dann mächtig und bewegend wird, wenn es von einem grundsätzlichen solidarischen Verhältnis geprägt ist, mit allen die auf welche Weise auch immer um Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Willkür kämpfen. Die Frage des »richtigen« Parteibuches oder der ideologischen Übereinstimmung sollte da wirklich nicht an erster Stelle stehen.
Der Faschismus und der von Deutschland ausgehende Weltkrieg machte der Begehung dieses Tages in Deutschland vorläufig ein Ende. 1933 wurde dieser Tag von den Nationalsozialisten verboten. Erst seit 1996 wird der 18. März auf Initiative von Libertad! und der Roten Hilfe wieder als Tag der Solidarität mit den Gefangenen propagiert und begangen.
Auch in Frankfurt können wir mit den Blockupy Protesten gegen das europäische Austeritätsregime an die Tradition des 18.März anknüpfen. In unserer Parole »Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie – wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus« steckt eben genau das, was auch der Kern des Aktionstages 18. März ist: unsere Freiheit gegen ihre Macht.

Bleiben wir also dran. reißen wir die Mauern der Gewöhnung in unseren Köpfen ein, desertieren wir aus der Normalität von Unterdrückung und Ausbeutung. Lasst uns heute am 18. März daran erinnern, wie wichtig es ist, an der Veränderung der Verhältnisse festzuhalten. Und lasst uns solidarisch sein mit all denjenigen, die für ihre Kämpfe um Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit weltweit im Knast sitzen oder von Repression betroffen sind.

Wir senden von hier aus einen Gruss an alle gefangenen Genossinnen und Genossen in aller Welt:
dir Daniela, wünschen wir viel Kraft und euch Burkhardt und Volker viel Glück.


Freiheit für alle politischen Gefangenen!