Vor einem Jahr verhinderten Berlinerinnen und Berliner das Zubauen des Tempelhofer Feldes. Obwohl die SPD in der ganzen Stadt für „Wohnraum statt Stillstand“ plakatiert hatte, waren am Ende mehr als 700.000 Leute keineswegs überzeugt, dass die Neubaupläne ihnen und nicht dem Baufilz nützen – mehr, als zuvor die SPD gewählt hatten. Ein politisches Desaster, das zum Ende der Ära Wowereit beitrug. Doch bei aller Freude, die Wohnungsnot bleibt. Dass Wohnraum überwiegend als Privateigentum organisiert ist und die preisdämpfenden Bestände von Bund und Land in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgefahren wurden, führt zu einer zugespitzten Wohnungsnot. Wirklich aufzuhalten ist diese Entwicklung nur durch die Abschaffung der profitorientierten Verwertung von Wohnraum. Nur wenn niemand mehr am Grundbedürfnis Wohnen verdient, wird die bedarfsgerechte Versorgung mit guten Wohnungen für alle Wirklichkeit werden. Aber wie erreichen wir eine Wohnungspolitik jenseits von Profit und Marktlogik? Weder mit einem Volksentscheid, noch mit ein paar Demos oder Besetzungen wird sich das mal eben machen lassen. Langer Atem, kleine Schritte, mühsamer Aufbau von Gegenmacht, anders wird's nicht gehen. Der Berliner Mietenvolksentscheid ist einer der Schritte in die richtige Richtung.
Wohnungspolitik in Berlin – eine bittere Geschichte
Die Berliner Wohnungspolitik bis zur Jahrtausendwende bestand aus öffentlicher Förderung privater Investoren. Der Staat erkaufte mit Summen, die den Wert der Gebäude deutlich überstiegen, einige Jahre niedriger Mieten, die errichteten Häuser blieben Privatbesitz. Der „Soziale Wohnungsbau“ wurde über Jahrzehnte zum Selbstbedienungsladen für Baufirmen, Grundeigentümer und fragwürdige politische Seilschaften. Seiner Abschaffung mit dem „Wegfall der Anschlussförderung“ im Jahr 2003 weinte niemand eine Träne nach. Danach geschah zehn Jahre lang weniger als gar nichts. Die berühmte Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD, Tunnelpatin der U55) leugnete, dass in Berlin Wohnungsnot herrscht. Vom Koalitionspartner PDS/Linkspartei kam kein Einspruch, sondern Zustimmung zur Privatisierung von 120.000 Wohnungen. Der öffentliche Wohnungsbestand wurde verscherbelt und erst im Jahr 2012 merkte der mittlerweile schwarz-rote Senat, dass doch irgendwie Wohnungsnot ist. Flugs schloss er ein „Mietenbündnis“ mit den Resten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, von denen man plötzlich wieder wusste, dass sie „durch ihre Mietpreisgestaltung konsequent preisdämpfend wirken“. Eine Trendwende jenseits von Sonntagsreden ist jedoch nicht zu erkennen. Es gibt keine Pläne, die Verdrängung armer Bevölkerungsschichten aus der Innenstadt zu stoppen. Die MieterInnen, die etwa am Kottbusser Tor vom Wegfall der „Anschlussförderung“ betroffen sind, werden im Regen stehen gelassen. Die für das Desaster der Vergangenheit verantwortlichen Parteien und Personen sind nach wie vor im Amt, die Linksfraktion als größte parlamentarische Opposition hat ihre Rolle in der rot-roten Privatisierungswelle nie aufgearbeitet. Um diesen Filz aufzubrechen, hilft nur Bewegung von unten, wie sie seit Jahren in verschiedenen Kiezen gelebt wird. Mit dem Mietenvolksentscheid formulieren Aktive dieser Bewegung nun Bausteine einer neuen Wohnungspolitik.
Der Volksentscheid und seine Ziele
Das „Berliner Wohnraumversorgungsgesetz“, das mit dem Volksentscheid zur Abstimmung stehen wird, besteht aus zwei Kernelementen: ein kommunaler Wohnungsbestand in Landeseigentum und Mietzuschüsse für die MieterInnen im alten „Sozialen Wohnungsbau“. Letzteres gründet sich auf Proteste von Initiativen wie „Kotti & Co“, die seit Jahren gegen Verdrängung protestieren. Hier sollen Mietzuschüsse vor Vertreibung schützen.
Demgegenüber ist das zweite Element des Volksentscheids in die Zukunft gerichtet: Es soll mit öffentlichem Geld nur noch in öffentlichem Eigentum gebaut, der landeseigene Wohnungsbestand ausgeweitet werden, die Mieten in diesem Bestand sollen für alle bezahlbar bleiben, Zwangsräumungen für EmpfängerInnen von HartzIV und AsylbewerberInnen ausgeschlossen werden. Um das zu bewerkstelligen, werden die sechs verbliebenen landeseigenen Wohnungsgesellschaften in „Anstalten öffentlichen Rechts“ umgewandelt – bisher sind sie Aktiengesellschaften oder GmbHs und arbeiten gewinnorientiert. Den Mieterinnen und Mietern der neuen Gesellschaften wird in Räten auf verschiedenen Ebenen Mitbestimmung bei Fragen von Neubau und Modernisierung eingeräumt. Außerdem gilt ein Privatisierungsverbot: die Gesellschaften dürfen ihre Wohnungen nicht an Private verkaufen.
Damit nicht nur der Bestand erhalten wird, sondern tatsächlich neue Wohnungen entstehen, soll das Eigenkapital der neuen Anstalten erhöht werden, ihre Gewinne sollen nicht in den Landeshaushalt fließen. Zusätzlich wird ein „Wohnraumförderfonds“ eingerichtet, in dem existierende Fördermittel gebündelt und vorrangig für öffentlichen Wohnungsbau und Ankauf verwendet werden.
Ziel des Gesetzes ist ein Systemwechsel: Weg von der Privatförderung, hin zum öffentlichen Eigentum. Je mehr Wohnungen dem Land gehören, der Mitbestimmung unterliegen und in ihren Preisen an soziale Kriterien gebunden sind, desto größer der Effekt – die Preisexplosion wird gebremst, weil kommunale Wohnungen eine Alternative zum privaten Wohnungsmarkt sind.
Zu teuer, zu wenig, zu bürokratisch?
In der Zusammenfassung liest sich das Gesetz wie der Einstieg in den Sozialismus: Rekommunalisierung, MieterInnenräte, keine Zwangsräumungen mehr.... Großartig! Doch ein Blick auf die über 60 Seiten Text bietet auch Ernüchterungen. Die MieterInnen haben im Verwaltungsrat nur vier Stimmen, die Landesregierung acht, bei einem Patt entscheidet der Senat – hier fällt das Volksbegehren hinter das des Berliner Energietischs zurück. Auf den Wohnraumförderfonds dürfen sich auch Private bewerben – EU-Recht schreibt´s vor, der Gesetzentwurf macht es mit sozialen Auflagen maximal unattraktiv, aber ein Geschmäckle bleibt. Allerdings bietet sich so immerhin die Möglichkeit, auch kollektive Projekte wie das Mietshäusersyndikat zu fördern. Die geplanten Ankäufe neuer Wohnungsbestände werden zudem teuer - nicht unwahrscheinlich ist, dass vor acht bis zehn Jahren privatisiertes Landeseigentum nun zum doppelten Preis zurückgekauft werden muss – ein Geschenk für Spekulanten. Doch Enteignungen sind auf Landesebene auch gegen Entschädigung rechtlich nicht machbar. Die Auflistung zeigt, dass ein Volksentscheid – wen wundert's – enge Grenzen hat: Vieles ist durch Bundes- und EU-Recht vorgegeben, Demokratie gibt es in diesem System nur auf Raten, ein enges Korsett sichert Ansprüche aus Fehlplanungen der Vergangenheit.
Der Volksentscheid als Einstieg in den Ausstieg
Trotzdem arbeiten wir am Volksentscheid mit und rufen dazu auf, ihn mit allen Kräften zu unterstützen. Das Gesetz wird die Situation der MieterInnen spürbar verbessern. Der Volksentscheid verspricht nach den vielen Abwehrkämpfen der Vergangenheit eine Offensive, eine Gelegenheit, die in Kiezen und Lokalinitiativen geteilte Bewegung mit gemeinsamem Ziel zu bündeln. Anders als so manche realpolitische Forderung, die wegen der fehlenden Durchsetzungskraft von der Straße zu einem hilflosen Appell verkümmert, bietet ein Volksentscheid die Chance, Senat und Abgeordnetenhaus bindende Vorschriften zu machen. Gewinnen wir diesen Angriff, bereitet das den Weg für kommende Kämpfe und weitergehende Forderungen.