Das bedingungslose Eintreten für globale Gerechtigkeit und die radikale Demokratisierung der Gesellschaft stehen also oft in einem realen Widerspruch. Ein transformatives Projekt kann helfen, diesem Widerspruch zu begegnen: Eine gemeinsame Vision verbindet Kämpfe und Akteur*innen zu einem gesellschaftlichen Block. So ein Projekt ist auch ein Gradmesser: Wer wird in das Ringen für Veränderung einbezogen und mitgedacht? Welche Utopien bilden sich heraus? Auch hier sehen wir unsere Aufgabe darin, die Interessen von Minderheiten und Unterdrückten kompromisslos zu vertreten, ohne die Bestrebungen eines mehrheitsfähigen Projekts aufzugeben.
Ein transformatives linkes Hegemonieprojekt ist aktuell kaum erkennbar. Trotzdem ergeben sich aus Kämpfen für die Vergesellschaftung von Wohnraum und anderer sozialer Infrastruktur die Umrisse eines solchen Projekts. Vergesellschaftung als Richtungsforderung und Strategie ist für die Bildung eines linken Hegemonieprojekts zentral. Sie kann aus der Ohnmacht der Linken herausführen. Denn Vergesellschaftung zeigt die Möglichkeit einer solidarischen Zukunft auch unter den Bedingungen der globalen Krisen. Das unterscheidet ein linkes Hegemonieprojekt vom „grünen“ Kapitalismus und dem Projekt der Rechten. Diese haben Antworten auf die Krisen nur um den Preis von immer stärkerer Abschottung, Militarisierung und Unterdrückung.
Vergesellschaftung meint die umfassende Demokratisierung von Produktion und Reproduktion, indem sie aus der Kontrolle von Staat und Kapital befreit werden. Vergesellschaftung zielt dabei auf drei Ebenen:
- eine Veränderung der Eigentumsstruktur von privatem zu kollektivem Eigentum;
- eine Veränderung der Verfügungsweise von privat diktiert zu demokratisch und
- eine Veränderung des Zwecks, von der Profitmaximierung zur Bedürfnisbefriedigung.
Verstaatlichung ist dabei nicht automatisch ein Fortschritt. Erfahrungen mit Staatsbetrieben zeigen, dass sie oft unter denselben Bedingungen operieren wie privates Kapital. Vergesellschaftung ist deshalb eine wichtige Richtungsforderung, weil wir damit Gemeineigentum an die Stelle des Dualismus von Staat oder Markt setzen können. Wenn Beschäftigte, Nutzer*innen und Mieter*innen sich demokratisch selbst verwalten und globale und gesamtgesellschaftliche Interessen berücksichtigen, verwirklicht sich das revolutionäre Potenzial von Vergesellschaftung.
Derzeit verhindert der Kapitalismus demokratische Entscheidungen über klimaschädliche Produktion, erzwingt ständiges Wirtschaftswachstum, Emissionen und Ressourcenverbrauch. Eine vergesellschaftete, klimagerechte Wirtschaft richtet sich nach den tatsächlichen Bedarfen und Bedürfnissen der Menschen, nicht nach Wachstums- und Profitzwängen. Gleichzeitig muss sie mit planetaren Grenzen und einer global gerechten Verteilung von Ressourcen vereinbar sein.
Die Vergesellschaftung der sozialen Reproduktion ist ein wichtiger Bestandteil einer feministischen und solidarischen Wirtschaft, in der Sorgearbeit stark aufgewertet und gerecht aufgeteilt ist. Vergesellschaftete, demokratische Verwaltung schafft auch die Möglichkeit, antirassistische Prinzipien durchzusetzen. Strukturell rassistische Funktionsweisen werden verändert und der explizite Rassismus bekämpft. Das bedeutet nicht, dass die Strategie der Vergesellschaftung alle gesellschaftlichen Probleme und Herrschaftsverhältnisse wie Patriarchat und Rassismus einfach auflöst. Ebenso wenig wird globale Ungleichheit automatisch behoben. Vergesellschaftung ist ein Auftakt, um überhaupt anders leben, wirtschaften und sich begegnen zu können. Alle mit ihr erkämpften Verbesserungen müssen immer wieder verteidigt werden.
Vergesellschaftung ist aus unserer Sicht geeignet als zentrale Achse eines linken Hegemonieprojekts, da sie als Strategie Lebensumstände verbessert und in den vergesellschafteten Bereichen Staat und Kapital zugunsten demokratischer Selbstverwaltung zurückdrängt. Als Richtungsforderung hat Vergesellschaftung einen utopischen Überschuss. Sie zeigt, wie wir uns die Gesellschaft nach der Revolution vorstellen. Umso stärker ist der Widerstand, den Staat und Kapital konkreten Vergesellschaftungsprojekten wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen entgegenbringen. Dies bestärkt uns darin, dass es nicht reicht, nur über Vergesellschaftung zu sprechen. Wir müssen sie in der Praxis umsetzen und erkämpfen – gemeinsam, ungehorsam und solidarisch.