Im neoliberalen Kapitalismus von heute lassen sich zwei konkurrierende politische Projekte beobachten. Sie ringen um Hegemonie und Vorherrschaft. Auf den ersten Blick scheinen ihre Pläne zur Bearbeitung der globalen Vielfachkrise komplett unterschiedlich, ihre Wertvorstellungen diametral entgegengesetzt zu sein. Das bürgerlich-liberale Hoffnungsprojekt einer „grünen“ Modernisierung steht gegen ein offen autoritäres, manchmal faschistisches Projekt der fossilen Rückwärtsgewandtheit. Die einen wollen mit einem neuen Akkumulationsregime, also mit neuen Technologien, veränderten Produktionsweisen und flexiblen Arbeitsverhältnissen den Kapitalismus modernisieren, um ihn mit Migrationsgesellschaft und Klimaschutz zu versöhnen. Die anderen halten stur an der alten Industriegesellschaft fest und wollen gesellschaftspolitisch die Uhr um Jahrzehnte zurückdrehen. Die ungleiche Verteilung der Produktionsmittel und Ressourcen zwischen Nord und Süd, Staatsbürger*innen und Zugewanderten sowie zwischen den Geschlechtern wird von ihnen aggressiv verteidigt.
Auf den zweiten Blick zeigen sich große Schnittmengen zwischen diesen beiden Hegemonieprojekten. Beide wollen die kapitalistische Produktions- und Lebensweise erhalten, ebenso die globalen imperialistischen Ausbeutungsverhältnisse. Beide knüpfen in unterschiedlicher Form an den Neoliberalismus an. Die Übergänge sind fließend und manche Akteur*innen schwer zuzuordnen.
Als Ergebnis der starken rechten Formierung der letzten Jahre zeichnet sich ein modernisierter Festungskapitalismus als Kompromiss zwischen den beiden kapitalistischen Hegemonieprojekten ab. Dieser grenzt sich aggressiv nach außen ab und greift nach innen zunehmend auf eine autoritäre Form der Politik zurück. Gleichzeitig gibt es weiterhin Zugeständnisse an eine liberale Lebensweise und die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie bestehen fort. Es deutet sich eine Gesellschaft an, die gerade so viel Klimaschutz und Modernisierung unternimmt, wie es ohne großen Widerstand des fossilen Kapitals und seiner Gefolgsleute machbar ist.
Gegenwärtig fehlt ein starker linker Block, der in dieses Kräfteverhältnis eingreifen kann – aber das muss und darf so nicht bleiben. Um wirksam eingreifen zu können, brauchen wir ein Verständnis der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede zwischen dem vermeintlich grün-progressiven und dem reaktionären Projekt.
Die grüne Modernisierung
Das Projekt eines „grünen Kapitalismus“ verspricht, die Klimakrise durch ökologische Modernisierung erfolgreich zu lösen und gleichzeitig neue Profitmöglichkeiten zu eröffnen. So könnten die kapitalistische Produktions- und Lebensweise langfristig aufrechterhalten und die ökologischen Lebensgrundlagen bewahrt werden. Kern dieses falschen Versprechens ist es, durch technischen Fortschritt und ökologischen Strukturwandel das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Das Projekt einer grünen Modernisierung muss die Ursachen und Folgen der Klimakrise also nicht ignorieren oder ganz leugnen, so wie es das rechte Projekt macht. Aus diesem Grund unterstützen internationale Institutionen wie die UN, WTO oder EU überwiegend diese Perspektive.
In den kapitalistischen Zentren Westeuropas und Nordamerikas ist das Projekt einer grünen Modernisierung eng mit dem „progressiven“ Neoliberalismus verbunden. Zustimmung wird vor allem durch Anerkennungspolitiken hergestellt, die Teile der Forderungen aus sozialen Bewegungen aufgreifen, aber diese so abschwächen und uminterpretieren, dass sie mit der kapitalistischen Verwertungslogik vereinbar sind. Ein solchermaßen modernisierter Kapitalismus inszeniert sich als Verteidiger individueller Freiheitsrechte und liberaler Werte, die eine zentrale Rolle für das Selbstverständnis eines grün-progressiven Blocks einnehmen.
Doch die Rettung der kapitalistischen Fortschrittserzählung ins 21. Jahrhundert kann in der Praxis nicht aufgehen: Ein System, das grundlegend auf der Maximierung von Profit und permanentem Wachstum aufgebaut ist, muss auch die natürlichen Ressourcen der privaten Verfügungsgewalt unterwerfen. Ökologische und planetare Grenzen kann es nicht respektieren. Die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch bleibt eine theoretische Vorstellung, die keiner empirischen Überprüfung standhält. Einen tatsächlich grünen Kapitalismus gibt es nicht und kann es nicht geben.
Auch die Verteidigung liberaler Werte und die progressive Inszenierung in diesem Projekt bleiben hohl. Denn Kapitalismus und imperiale Lebensweise lassen sich nicht ohne Abschottung, rassistische Ungleichbehandlung, Aufrüstung und Repression aufrechterhalten. Das gilt vor dem Hintergrund der bereits unabwendbaren Folgen der Klimakrise umso mehr.
Das gegenwärtige Versagen der Ampel an den minimalen eigenen Ansprüchen belegt dies deutlich. Kleinen Verbesserungen, die nichts kosten, wie die Abschaffung des §219a, also die Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen, oder halbherzigen Liberalisierungen beim Staatsangehörigkeitsrecht steht eine Praxis von Abschottung, Sozialabbau und Großmachtpolitik gegenüber. Versteckt hinter Phrasen wie „europäische Solidarität“ wird das Asylrecht ausgehöhlt. Von der „feministischen Außenpolitik“ bleibt kaum mehr als Waffendeals mit Diktaturen übrig. Die Klimaziele werden Jahr für Jahr verfehlt, die fossile Infrastruktur sogar noch ausgebaut.
Alle Hoffnungen in eine grüne Modernisierung des Kapitalismus sind also vergeblich. Eine tatsächliche sozial-ökologische Transformation kommt nicht von oben, sondern muss antikapitalistisch sein.
Die rechte Formierung
Konservative und Marktradikale, Rechte bis hin zu faschistischen Kräften haben sich – je nach Land in unterschiedlichen Konstellationen – zu einem eigenständigen rechten Projekt formiert, das mit dem progressiv-grünen Projekt erbittert um die Hegemonie ringt. In Deutschland hat diese Entwicklung verzögert eingesetzt, ist jetzt aber mit den Wahlerfolgen der AfD und dem Rechtsschwenk der CDU unter Merz voll angekommen.
Das rechte Projekt verspricht trotz der multiplen Krisen und der zunehmenden Unsicherheit, dass durch eine Mischung aus Abschottung, Klimaleugnung und der Verteidigung patriarchaler Privilegien alles so bleiben kann, wie es ist. Für dieses falsche Versprechen von Stabilität werden die – in der Bevölkerung seit jeher vorhandenen – rassistischen, sexistischen, antisemitischen und queerfeindlichen Haltungen gezielt mobilisiert und radikalisiert. In den klassischen und in den sozialen Medien inszenieren sich die Rechten als angeblich widerständige Stimme. Dabei hilft ihnen, dass große Teile der Medien- und Parteienlandschaft die rechten Narrative aufnehmen und ihre menschenfeindlichen Positionen dadurch normalisieren.
Nach dem Sommer der Migration 2015 stand vor allem die rassistische Hetze im Vordergrund der rechten Agitation. In den letzten Jahren gewinnt zusätzlich ein antifeministischer und queerfeindlicher „Kulturkampf“ an Bedeutung. In diesem Versuch, die progressiven, gesellschaftspolitischen Errungenschaften nach 1968 zurückzudrehen, werden auch antisemitische Untertöne immer lauter. So konnte über Interessensgegensätze hinweg ein rechter gesellschaftlicher Block geschaffen und verbreitert werden.
In Deutschland ist es die AfD, die für die Organisierung dieses rechten Blocks die zentrale Rolle einnimmt. Sie konnte sich als rechte Partei mit fester Wähler*innenschaft etablieren, die Finanzierung rechter Strukturen ausweiten und für eine Vernetzung der Rechten auf nationaler wie internationaler Ebene sorgen. Die AfD ist ein Sammelbecken für extrem rechte Akteur*innen und eine Schnittstelle zu aktivistisch agierenden offenen Neonazis. Gleichzeitig werden die Übergänge zu Teilen der etablierten konservativen Parteien und Medien immer fließender. Die Wahrscheinlichkeit parlamentarischer Bündnisse bis hin zu Regierungsbeteiligung wächst.
Neoliberale und Rechte teilen nicht nur einzelne ideologische Vorstellungen und ihre Zusammenarbeit geht über zeitweise Bündnisse hinaus. Das zeigte sich besonders deutlich an den coronaleugnenden Querdenker*innen. Hier spitzt sich die neoliberale Ideologie autoritär zu: Ich-Bezogenheit und individualistisch verstandene Freiheit führen zu Aggression gegen jede kollektive Solidarität. So haben der diffuse Zusammenschluss von autoritären Libertären und Schwurbler*innen die Basis für das rechte Projekt erweitert. Hinzukommen religiöse Fundamentalist*innen, die ihre Strukturen in den letzten Jahren stark ausbauen konnten und vermehrt Bündnisse mit Teilen des rechten Blocks eingehen.
Die Gefahr, die von diesem rechts-autoritären Projekt ausgeht, beginnt lange vor einer Regierungsbeteiligung der AfD. Die rassistischen, antisemitischen, misogynen, queer- und transfeindlichen Gewaltfantasien bleiben nicht im virtuellen Raum der sozialen Medien, sondern führen zu realer, oft tödlicher Gewalt. Dies haben die Mordanschläge von Halle 2019 und Hanau 2020 deutlich gezeigt. Polizei, Geheimdienste und Militär bleiben ein Anziehungspunkt für rechts-autoritäre Charaktere. Sie sind Brutstätten für Rassismus und Naziterrorismus. Im nie konsequent entnazifizierten Sicherheitsapparat der BRD existieren bis heute rechte Netzwerke, von denen eine große Gefahr insbesondere für migrantisierte Menschen ausgeht. Auf den Staat ist daher bei der Bekämpfung rechter Strukturen kein Verlass. Von allein handelt er nur vereinzelt oder wenn er sein Gewaltmonopol gefährdet sieht. Zu allem anderen müsste eine starke antifaschistische Bewegung ihn zwingen.
Der selbstgerechten Darstellung Deutschlands als ein Land, das aus der Geschichte gelernt habe und heute geläutert sei, zum Trotz: Der Antisemitismus kommt aus der „Mitte der Gesellschaft“, er ist weder Vergangenheit noch Einzelfall und auch kein durch Migration importiertes Problem. Antisemitische Verschwörungserzählungen bilden ideologische Brücken von extremen Rechten zu sogenannten Querdenker*innen, von Reaktionären bis zu Teilen der Friedensbewegung.
Gerade in Ostdeutschland sind rechte und faschistische Strukturen, Parteien und Personen tief in der Gesellschaft verankert, während eine (links-)liberale Zivilgesellschaft oft kaum existiert. Hier droht eine regionale rechte Hegemonie, in vielen Gegenden ist sie bereits Wirklichkeit. Eine Erklärung hierfür sind die Abstiegs- und Entwertungserfahrungen, die viele DDR-Bürger*innen in den Jahren nach 1989 gemacht haben. Hieran konnte die extreme Rechte mit einer gezielten Ostpolitik geschickt anknüpfen. Der staatliche Antifaschismus der DDR war auf andere Weise genauso oberflächlich wie die Vergangenheitsbewältigung im Westen. Unter der Oberfläche von Sozialismus und Internationalismus lebten Rassismus und Autoritarismus weiter. Nach dem Zusammenbruch der DDR gab es eine nachvollziehbare Skepsis gegenüber linken Positionen und Organisationen. Auch deshalb hatten die Rechten in Ostdeutschland relativ leichtes Spiel. Heute müssen wir diese Besonderheiten in der Strategie und Praxis unserer antifaschistischen Politik berücksichtigen.
Die Gefahr durch den rechts- autoritären Block ist also akut und real. Dagegen sind breite, antifaschistische Bündnisse notwendig. Zugleich ist das grün-progressive Projekt selbst Teil des Problems, weil es sich von den Rechten treiben lässt. Wirksamer Antifaschismus funktioniert auf Dauer nur mit einer linken, antikapitalistischen Perspektive.